Viel Politik, wenig Konkretes

Marktupdate 47/2022

Markus Schön, Dienstag 22. November 2022

Trotz stark gefüllter politischer Agenda setzt sich die Beruhigung an den Kapitalmärkten fort. So sorgte ein Raketeneinschlag in Polen mit zwei Todesopfern für kurzfristige Sorgen um eine Ausweitung des Krieges und damit kurzfristig für deutliche Kursverluste, die sich aber ebenso schnell relativierten. Sie wurden zudem kaum wahrgenommen, da die Bewegungen außerhalb der Haupt-Handelszeit an den europäischen Märkten stattfanden. Dennoch muss dies ein „Warnhinweis“ sein: Trotz der vermeintlichen Gewöhnung an den Ukraine-Krieg reagieren die Kapitalmärkte weiterhin auf Zuspitzungen nervös, während der politische Rahmen – G20, Weltklimakonferenz und die Diskussion um die Fußball-WM in Katar – weniger stark wahrgenommen wurde. So wurde das Treffen zwischen dem US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping positiv gesehen; vielleicht resultiert diese positive Sicht auch aus der Tatsache, dass eine solche Begegnung während der Präsidentschaft Donald Trumps unmöglich gewesen wäre. Dessen Ankündigung, 2024 erneut für die US-Präsidentschaft kandidieren zu wollen, wurde auch er mit mäßigem Interesse zur Kenntnis genommen und spielte an den Kapitalmärkten keine wesentliche Rolle. Interessanter war dann schon, dass der Sieg der „seiner“ USRepublikaner geringer als erwartet ausfiel und beispielsweise die Mehrheit im US-Senat bei den US-Demokraten um Joe Biden liegt. Dennoch sind nach den sogenannten mid-term-Wahlen die Voraussetzungen zum Regieren schwieriger geworden. Durch die Mehrheit im US-Kongress der US-Republikaner droht immer wieder eine Blockade, die bei der nächsten Anhebung der Schuldenobergrenze die Kapitalmärkte ebenso wie bei weiteren Hilfspaketen an die Ukraine im Zuge des Krieges gegen Russland beschäftigen kann.

Entsprechend sind die politischen Rahmenbedingungen dort nicht einfacher geworden. Dies passt zu der Phase relativ großer Ungewissheit, in der viele Einschätzungen schlimmer als die tatsächliche Nachricht erscheinen. Davon sind aktuell vor allem US-Technologiewerte betroffen, bei denen viele Aktien – wie beispielsweise Tesla (dieser allerdings völlig zu Recht) – auf Jahrestief 2022 notieren. Bei konsumorientierten Aktien wie Amazon, PayPal oder eBay wird daher die vor uns liegende Handelswoche besonders spannend sein. Neben dem für den Einzelhandel besonders wichtigem „black Friday“ gibt es den „cyber Thursday“, an dem besonders viele Umsätze bei online- Händler gemacht werden. Hintergrund ist, dass am US-Feiertag Thanksgiving die stationären Geschäfte nicht geöffnet haben, aber online viele Waren verfügbar sind. Durch den Feiertag ist in den USA ein „langes Wochenende“, bei dem Freitag und Samstag so viele Umsätze getätigt werden, dass die Einzelhändler bezogen auf das Gesamtjahr zum ersten Mal schwarze Zahlen schreiben. So ist der Begriff des „black Friday“ entstanden. Die damit verbundenen Ausgaben werden aber auch ein wesentlicher Indikator für die konjunkturelle Entwicklung in den USA sein. Erstmals seit den 1970iger Jahren ist die Inflation sehr hoch und die Preise für das traditionelle Truthahnessen explodieren. Dies könnte die Konsumausgaben dämpfen und damit ein weiterer Fingerzeug für eine zunehmend nachlassende US-Konjunktur sein. Nach unserer Einschätzung hat es die US-Notenbank mit ihrer aggressiven Politik von Zinserhöhungen übertrieben und wird die US-Wirtschaft in eine starke Rezession stürzen. Dann muss zinspolitisch sofort gegengesteuert werden, so dass das Zinsniveau in den USA, aber auch global 2023 eher sinken wird. Die sich daraus ergebende Konsequenz der Sonderkonjunktur bei Anleihen sollte man weiter nutzen. Trotz der Anstiege sind viele Anleihen günstig und die zu erzielenden Renditen hoch. Damit sind Anleihen Aktien vielfach überlegen. Gleichzeitig sind nicht nur die Konjunktursorgen in den USA und Europa groß, auch die chinesische Wirtschaft schwächelt. So belasten Lockdowns und die immer totalitäre Politik der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt die Aktienentwicklungen. Dies führt dazu, dass auch die eigentlich stabile Nachfrage nach Luxus in China nachlässt und beispielsweise Mercedes die Preise für Elektrofahrzeuge senken muss. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dies tatsächlich der konjunkturellen Entwicklung geschuldet ist oder auf die Erkenntnis zurückgeht, dass Elektromobilität eben doch nicht das Zukunftsmodell ist. Schließlich kämpft auch Tesla in China mit größeren Absatzproblemen, während beispielsweise der italienische Luxus- Sportwagenhersteller Ferrari den Absatz konstant steigern kann. Vieles deutet darauf hin, dass gerade in China eher Verbrennerund ggf. Hybrid-Modelle weiterhin zukunftsfähig sind. Deswegen sind vielleicht auch die Ergebnisse der Klima-Konferenz so ernüchternd. Anders als erhofft, will China nicht in einen Fonds einzahlen, der andere Staaten für Klimaschäden entschädigt.

Die damit verbundene Argumentation ist schon seltsam, weil China sich weiterhin als Entwicklungsland sieht. Nach dieser Definition will man sich gar nicht ausmalen, wie China Deutschland sieht. Spannend ist aber, welche Perspektiven damit verbunden sind. Während Deutschland – trotz explodierender Refinanzierungskosten – in diesen Fonds einzahlen wird, könnte China davon profitieren, obwohl die Emissionen und ökologischen Schäden dort immens sind. Aber wie so oft hat sich die europäische Ideologie den globalen Fakten untergeordnet. Ohne China und die USA werden die Klimaziele nicht erreichbar sein. So ehrenvoll es also erscheint, die Klimafolgen für Staaten, die nicht als Verursacher gelten, aber dennoch betroffen sind, abzumildern; Deutschland und Europa tun dies nicht aus Eigenmitteln, sondern in Form von neuen Krediten, die durch die steigenden Zinsen zunehmend teuer werden und immer stärker finanziell belasten.

Wenn man sich also fragt, was eine gute Staatsanleihe ist, muss die Antwort sein, dass vielfach erstklassige Unternehmensanleihen die bessere Wahl sind. Dies gilt umso mehr, wenn man sieht, wie viel höher die jeweilige Rendite im Vergleich zu der Aktie ist. Das Argument, die jeweilige Aktie habe ein nahezu unbegrenztes Kurspotenzial ist natürlich auch nicht richtig. Vielmehr notieren nicht nur viele Aktien auf ihren Jahrestiefstständen 2022, sondern Werte wie Amazon liegen auf dem Kursniveau vor knapp 5 Jahren. Die Dynamik dieser Werte ist nicht mehr vorhanden, weshalb eine breite Diversifikation sinnvoll bleibt und in diesem Jahr – trotz des schwachen Marktumfeldes – für gute Ergebnisbeiträge sorgen konnte. Durch die Erholung gehen immer mehr Charttechniker davon aus, dass sich die Erholung am Aktienmarkt fortsetzen wird.

Schließlich ist die Frage nicht unwesentlich, ob wir am Beginn einer neuen Krise stehen. Die Konjunkturdaten sind teilweise deutlich schwächer als erwartet. Neben dem deutschen ifo- Geschäftsklima-Index sind vor allem die Daten vom USArbeitsmarkt enttäuschend. Deswegen stellt sich die Frage, ob die US-Dollar-Schwäche, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Handelswoche zu spüren war, tatsächlich auf die Rede des USNotenbankpräsidenten zurückgeht oder nicht eine konjunkturelle beachtenswert. Trotz deutlich steigender Corona-Infektionszahlen und damit verbundenen Lockdown gewinnt die Währung mehr als 1,5%. Mindestens für Euro-Investoren gilt dies bezogen aus die USAktienmärkte nicht uneingeschränkt. Neben erneuten Kursverlusten in der vergangenen Woche sorgt auch der weiter rückläufige US-Dollar für zusätzliche Belastungen. Dieser hat knapp 0,5% im Wochenvergleich an Wert eingebüßt, während der Euro noch wesentlich stärker gegenüber der Norwegischen Krone hinzugewinnen konnte. Ursache hierfür war der stark rückläufige Ölpreis, der zusätzlich dämpfend auf die Inflation wirken dürfte. Davon werden die Währungen der Industriestaaten als erstes profitieren; diesem Trend werden dann Schwellenländer folgen, während die Währungen rohstoffreiche Länder unter dem Preisverfall bei Rohstoffen temporär leiden. Dennoch bleiben Währungen wie der Australische Dollar gute Beimischungen.

Für das „digitale“ Gold Bitcoin und andere Digitalwährungen gilt dies nicht. Dort setzen sich zwar die teilweise dramatischen Rückgänge der Vorwoche nicht fort, aber eine Erholung gab es ebenfalls nicht. Jedoch war das Umfeld bei den Edelmetallen ebenfalls schwach, weil das Zinsniveau derzeit noch hoch ist. Getragen wird dies durch die Inflation, der nach unserer Überzeugung aber „die Luft ausgeht“. Der Gaspreis ist 2/3 niedriger als auf seinem Höchststand. Der Ölpreis liegt – nach einem Einbruch im Wochenvergleich um fast 10% – nur noch rund 6% auf Jahressicht 2022 im Plus. Die Anlagen, die in diesem Jahr noch für Gewinne standen, werden immer weniger, aber dafür reduzieren sich die Verluste in der Breite. Anlass zur Sorge geben die weiterhin teilweise deutlich rückläufigen Preise bei den industriell benötigten Rohstoffen. Hier deutet viel auf eine stärkere Abschwächung der Konjunktur als angenommen.

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