Die Chaos-Ampel
Marktupdate 34/2022
Markus Schön, Dienstag 30. August 2022
Manchmal gilt nicht nur im Spielcasino, sondern auch an den Kapitalmärkten „wie gewonnen, so zerronnen“. Es reichten hohe Inflationsdaten in Großbritannien aus, um die Kapitalmärkte durcheinander zu wirbeln. Dabei war der Anstieg der Inflation dort nicht wirklich überraschend. Zwar bemühen sich Olaf Scholz, Robert Habeck und Annalena Baerbock ähnliches Chaos zu stiften wie Boris Johnson in Großbritannien, aber sein Niveau hat man in Deutschland – noch – nicht erreicht. Die dortige Inflation ist u. a. eine Folge des BREXIT, der beispielsweise Logistikkosten deutlich verteuert hat und Lieferketten über das globale Maß hinaus stört. Nun sorgt ein Streik in dem größten britischen Frachthafen für zusätzlichen Druck – auf die britische Inflation einerseits, aber auf die globalen Lieferketten andererseits. So werden dort nicht nur Waren für den britischen Markt verschifft, sondern durch die komplexen internationalen Verflechtungen kommt es auch zu Umladungen für Waren, die in Kontinentaleuropa benötigt werden oder in die USA, nach Südamerika, Afrika und Asien geliefert werden. Es kommt damit ein Element hinzu, dass den globalen Handel hemmen könnte und damit zu einem Rezessions-risiko wird. Schon jetzt haben diese Sorgen die Kapitalmärkte fest im Griff. Allein der vergangene Mittwoch reichte aus, die Aktiengewinne von einem Monat auszuradieren. In allen Regionen und Segmenten der Aktienmärkte standen mehr oder weniger große Minuszeichen, obwohl die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ihre Leitzinsen gesenkt hat. Anders als Europa und die USA hat China geldpolitischen Spielraum und kein wirkliches Problem mit der Inflation. Diese ist niedrig, aber wirtschaftlich ist man dort in der schwierigsten Situation seit den 1990iger Jahren. Dies räumt inzwischen auch die chinesische Politik ein, was nicht als Zeichen der Stärke Chinas gesehen werden sollte.
Vielmehr ist es das Eingeständnis, dass China keine Konjunktur-programme auflegen kann, die für die Erreichung der Wachstums-ziele ausreichend sind und auch geldpolitisch Grenzen bestehen. Neben den Folgen der weiterhin schon fast radikal umgesetzten Lockdowns drückt die chinesische Volkswirtschaft die Verschuldung im privaten Sektor und die Immobilienblase, aus der langsam und bislang relativ geräuschlos die Luft entweicht. In dieser Beziehung könnte sich insbesondere aus deutscher Sicht der Blick dorthin lohnen. Nach aktuellen Einschätzungen können sich 60% der Kunden von Sparkassen die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise nicht mehr leisten. Diese Institutsgruppe hat – trotz aller Skandale – noch rund 50% Marktanteil. Da Volksbanken ähnliches berichten, droht eine Verarmungswelle, vor der Institutionen wie u. a. der Paritätische Gesamtverband schon seit längerem warnen. Die damit verbundenen Risiken sind immens, weil es nicht funktionieren wird, wenn Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden. Dies sorgt nicht nur für immensen sozialen Sprengstoff, sondern bringt auch Volkswirtschaften an Grenzen. So profitieren Konzerne und große Unternehmen von der Konsumneigung breiter Bevölkerungsgruppen. Ohne diese verlieren Unternehmen wie Zalando, Delivery Hero, aber auch adidas oder Henkel ihre unternehmerische Basis. Anders als in früheren Veränderungsprozessen findet hier keine Substitution statt, sondern das dem deutschen Konsum entzogenen Geld fließt in rohstoffnahe Volkswirtschaften im arabischen Raum,
Australien, Norwegen oder weiterhin nach Russland Australien, Norwegen oder weiterhin nach Russland. Deswegen ist die Überlegung des FDP-Politikers Wolfgang Kubicki, die deutsche Gasversorgung doch über die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 sicherzustellen, wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht völlig abwegig. Politisch ist dies natürlich sehr brisant. So bekäme Wladimir Putin einen großen Erfolg, der ihm innenpolitisch helfen würde, nachdem der Krieg in der Ukraine zunehmend statisch wird. Nennenswerte Geländegewinne werden nicht erzielt. Möglicherweise auch aus diesem Grund hatte die Ankündigung eines erneuten Lieferstopps von russischem Gas faktisch keine Auswirkungen. Der Preis bleibt konstant hoch, aber sonst ist der Einfluss auf die Kapitalmärkte begrenzt. Aus Italien kommen hingegen erste Nachrichten, man müsse dort die Produktion drosseln. Dies könnte zu einem wesentlichen Faktor für die dort anstehenden Parlamentswahlen werden. So könnte Russland die Spaltung des Westens zumindest in Ansätzen erreichen, zumal der norwegische Staatsfonds – eigentlich ein Profiteur der Entwicklungen – riesige Verluste gemacht hat. Der Rückgang um 14% zeigt, dass für Norwegen eine Vermögensverwaltung durch Schön & Co viel besser gewesen wäre. Dies dürfte auch für die Zukunft gelten, da in der kommenden Woche das Treffen der Notenbankenvertreter in Jackson Hole ansteht, dort die Aussagen zu einer Zinswende vorhersehbar sind, aber die Realität anders aussieht. Die Marktzinsen werden eher wieder fallen.
Dies liegt an völlig überzogenen Markterwartungen; so ist die Zinskurve teilweise invers, weil klar ist, dass solche Zinsschritte für keine Volkswirtschaft verkraftbar wären. Entsprechend sind die Zinsen für lang laufende Anleihen teilweise deutlich niedriger als für kurzfristige Papiere, die viel stärker von den Leitzinsen der Notenbanken beeinflusst werden. Zunehmend ist allerdings festzustellen, dass die Risikoaufschläge für Anleihen mindestens konstant bleiben, aber eher sinken. Entsprechend haben erstklassige Unternehmensanleihen weiterhin deutliches Potenzial, weil nicht nur die Kursrückgänge übertrieben waren, sondern auch die Risikoaufschläge viel zu groß geworden sind.
Dies gilt weiterhin, auch wenn der Aktienmarkt relativ deutlich korrigiert hat. Vor allem die US-Technologieaktien haben mit knapp 3% relativ deutlich verloren. Hierbei spielten allerdings die teilweise deutlich steigenden Zinsen eine größere Rolle, während die – ebenfalls überwiegend negativen – Konjunkturdaten viel weniger wahrgenommen wurden. Derzeit sind Entwicklungen wie Lieferketten und Energiesicherheit viel wesentlicher als fundamental belastbare Daten. Den Unternehmen geht es in der Breite relativ gut. Entscheidend ist die Frage, ob dies die Ruhe vor dem Sturm ist oder eigentlich – trotz aller Krisen – business as usual gelten müsste. Für viele Werte sehen wir eher letzteres, so dass die Rückgänge bei selektiven Werten in den letzten Tagen eher als Marktchancen zu gelten haben.
Aber spätestens seit der Finanzkrise 2008 gleichen die Kapitalmärkte einer Bühne, bei der das Licht auf das vermeintlich relevante Thema gerichtet wird. Aktuell ist dies Inflation und es spielt keine Rolle, ob dies für Sparer und Anleger tatsächlich wesentlich ist. Natürlich stellen Banken, Sparkassen und Kreditinstitute insgesamt die Inflation als wesentliches Thema dar. Es ist aber vor allem die Erklärung, weshalb die Kreditzinsen steigen und Sparprodukte ungeeignet sind. Tatsächlich lohnt es sich, die Frage der Geldentwertung detaillierter zu betrachten. Dann zeigt sich, dass die Inflationsfolgen derzeit viel geringer sind. Gleichzeitig profitieren rohstoffnahe Währungen – auch gerade der Russische Rubel – besonders deutlich von den Entwicklungen. Daher halten wir rohstoffnahe Währungen wie den Australischen und Neuseeländischen Dollar für interessant, während der US-Dollar nach dem erneuten Anstieg eher wieder fallen dürfte.
Schließlich wird der US-Währung – aus unserer Sicht z. T. zu Unrecht – der Status als „sicherer Hafen“ zugesprochen. Dies galt in den letzten Tagen nicht einmal für die Edelmetalle, die zwischen 3% und 8% an Wert einbüßten. Dies war jedoch im Vergleich zu Digitalwährungen relativ wenig. Teilweise lag dort das Wochenminus bei 15%. „Beeindruckender“ sind jedoch die Verluste auf Jahressicht 2022. Dort hat beispielsweise Bitcoin knapp 60% an Wert verloren. Es bestätigt unsere Einschätzung, dass gerade in Krisenphasen die jeweilige Substanz entscheidend ist. Diese bleibt bei Krypto-Währungen viel weniger ausgeprägt als bei insbesondere industriell benötigten Rohstoffen.
Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.