Luxus kennt keine Inflation

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Marktupdate 32/2022

Markus Schön, Dienstag 09. August 2022

Mit Ausnahme der Arbeitsmarktdaten – insbesondere in den USA – sind die Konjunkturdaten nahezu durchgängig schlecht. Die Unternehmensdaten fallen hingegen überwiegend gut aus. Was zunächst widersprüchlich klingt, erklärt sich in der näheren Betrachtung. Zum einen sind die Erwartungen an die Ergebnisse, die die Unternehmen erzielen konnten, teilweise gering. Zum anderen gibt es immer Geschäftsmodelle, die in Krisensituationen wie derzeit profitieren. Natürlich hat beispielsweise die Öl- und Gasindustrie durch den Krieg in der Ukraine eine Art „Sonderkonjunktur“, aber auch die Automobilhersteller melden herausragende Zahlen, weil die knapperen Vorprodukte – dort vor allem Datenchips – eben für die Produktion höherwertiger und damit margenstärkerer Fahrzeuge verwendet werden. Ein besonderes Beispiel ist der italienische Sportwagenhersteller Ferrari, der – trotz Lockdowns in Asien und Lieferstopp nach Russland – im 2. Quartal 2022 das erfolgreichste Quartal der Unternehmensgeschichte verzeichnete. Neben den extrem guten Margen scheint auch jetzt das Motto „Luxus geht immer“ zu gelten. Fast weltweit bilden sich von Luxusgeschäften wie Louis Vuitton oder Gucci lange Schlangen. Die Aktien der jeweiligen Unternehmen profitieren, weil sie eine Kundenstruktur haben, für die Inflation keine Rolle spielt. Ob ein Ferrari 400.000 Euro oder 500.000 Euro kostet, ist 90% der Käufer ebenso egal, wie die Frage, ob eine Handtasche des LVMH-Konzerns 2.000 Euro oder 3.000 Euro kostet. Da dies aber nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung gilt, aber Unternehmen an den internationalen Börsen überrepräsentiert sind, die von der aktuellen Krise weit weniger als die Allgemeinheit betroffen sind, ergibt sich ein verzehrtes Bild, das – wieder einmal – die Krise kleiner aussehen lässt als sie ist.

Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass Konzerne wie BP, SaudiAramco, Ferrari oder LVMH teilweise nicht nur sehr gute Zahlen ausweisen, sondern sich auch die Aktienkurse sehr gut entwickeln. Aber wenn man sich börsennotierte Konzerne wie Walmart oder Zalando ansieht, die den Schwerpunkt ihres Geschäftsmodell im Massengeschäft haben, befinden sich diese Kurse nahe oder auf ihren Tiefstständen. Selbst der Facebook-Konzern Meta leidet unter der konjunkturellen Erwartung einer globalen Rezession. Wer sich um seinen Lebensunterhalt sorgen muss, ist weniger in sozialen Netzwerken aktiv und weniger für die veröffentlichten Werbeanzeigen affin. Deswegen ist es nicht verwunderlich, wenn Meta nun erstmals Anleihen emittieren will. Das weiterhin geplante Wachstum lässt sich derzeit noch weniger durch Private-Equity-Investoren, Debt-Funds oder eben die aktuell ausbleibenden oder geringer werdenden Gewinne finanzieren. Ob es für Anleger klug ist, neu emittierte Anleihen solcher Unternehmen zu kaufen, hängt stark vom Zinssatz ab. Als die Nachrangpapiere von Bayer oder Allianz Ende Juni 2022 teilweise 10% Rendite p. a. boten, war es keine Frage, ob man Aktie oder Anleihe kauft. Viel mehr Geld als mit der Bayer-Anleihe konnte man in den letzten Wochen nicht verdienen. Aber es scheint, als schlage das Pendel derzeit grundsätzlicher zu Anleihen aus. Anders ist nicht zu erklären, weshalb der französische Baustoffkonzern St. Gobain drei Anleihen im Gesamtvolumen von 1,5 Mrd. Euro emittieren konnte, die sechsfach überzeichnet waren. DasUnternehmen hätte also Kredite über 9 Mrd. Euro erhalten können und abzüglich des tatsächlichen Kreditbedarf knapp 1/3 der eigenen Aktien zurückkaufen können, weil die Marktkapitalisierung durch die schlechte Kursentwicklung fast auf dem niedrigsten Stand in diesem Jahr ist. Man erlebt neben den Branchenunterschieden deutliche Unterschiede, wenn man den internationalen Kapitalmarkt in drei Regionen aufteilt. In den USA ist man zwischen Rezession und Stagflation hin- und hergerissen. In Europa geht man von einer deutlichen Rezession bei hoher Inflation aus. In Asien bleibt – auch dank subventionierter Rohstoffexporte insbesondere aus Russland – die Inflation recht niedrig und die Wirtschaft wächst dort moderat. Wie fragil dies ist, zeigen aber auch die Konjunkturdaten aus China und die hohe Nervosität, die mit den Spannungen um Taiwan einhergeht. Dennoch scheint dort ein realistisches Bild der konjunkturellen Lage zu bestehen. Ähnliches gilt für die USA, zumal auch der Preis für WTI-Öl wieder auf das Niveau vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine gefallen ist und viele andere Rohstoffe – beispielsweise Aluminium – auf dem tiefsten Stand in diesem Jahr notieren. Die „black box“ ist Europa und hier insbesondere Deutschland. Neben einer Vielzahl von politischen Fehlentscheidungen hängt sehr viel von der Energiesicherheit und den damit verbundenen Kosten ab. Die teilweise erheblichen Rückgänge des Ölpreises kommen in Deutschland – anders als in anderen Staaten – kaum an und belasten die konjunkturellen Erwartungen deutlich.

Dennoch haben sich die Kurse für deutsche Staatsanleihen deutlich verteuert. Damit sind die Zinsen spürbar gesunken, obwohl die Sorge um eine stark steigende Inflation weiterhin sehr ausgeprägt ist und erwartet wird, dass die EZB die Zinsen weiter und vermutlich deutlich anheben wird. Wenn es allerdings auf der Zinsseite in Europa zu Kursrückgängen kommt, gehen diese derzeit von den USA aus. Dies resultiert aus der Erwartung, die Eurozone könne sich dem Trend steigender Zinsen aus den USA nicht entziehen, weil sonst zu viel Geld aus dem Euroraum abfließt und neue Anlagemöglichkeiten in den USA sucht. Diese hohe Nachfrage hat zu einem starken Anstieg des US-Dollars geführt.

Dies stabilisiert – zusammen mit den weltweit sinkenden Marktzinsen – die Kapitalmärkte. Dabei geschieht weiterhin „mehr vom Falschen“. Schließlich gehen große Teile der Anstiege am Aktienmarkt vor der Corona-Pandemie, aber auch zwischen Pandemie und Beginn des Ukraine-Krieges auf die immense Liquidität zurück, die vor allem die Notenbanken über Anleihekaufprogramme und die internationale Politik durch Konjunkturhilfen bereitgestellt hatten. Es war in weiten Teilen ein künstlicher Aktienboom, aus dem mit den realwirtschaftlichen Problemen, aber vor allem der veränderten Geldpolitik die Luft entwich. Jetzt ist – gerade auch im US-Technologiesektor – wieder eine Entkopplung von realwirtschaftlichen Maßstäben festzustellen. Noch stärker als bei den bedeutenden Technologiekonzernen ist dies im Nasdaq insgesamt wahrzunehmen.

Für aus Eurosicht denkende Anleger sind diese Entwicklungen doppelt gefährlich. Ein doch noch stärker als erwartet steigendes Zinsniveau in den USA würde genau diese Werte wieder belasten; würde dann zusätzlich ein stärkeres Augenmerk auf die Währung als Gradmesser der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Außenverhältnis gelegt, käme der US-Dollar unter Druck. In dieser Kombination würden Anleger dann auf der Aktien- und Währungsseite verlieren. Schließlich gehört der US-Dollar zusammen mit dem Mexikanischen Peso mit einem Anstieg um jeweils mehr als 10% gegenüber dem Euro zu den besonders starken Währungen in diesem Jahr. Übertroffen wird dies nur noch vom Russischen Rubel, der auf Jahressicht 2022 über 30% im Plus notiert.

Ein Stück weit ist damit die Einschätzung widerlegt, die Stärke des Russischen Rubel sei nur auf die durch den Ukraine-Krieg stark gestiegenen Preise für Öl und Gas zurückzuführen. Schließlich ist Öl auf Jahressicht 2022 „nur“ noch um knapp 20% gestiegen und notiert in der US-Variante WTI sogar wieder auf dem Niveau vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Aber auch andere Rohstoffe – und selbst der Edelmetallsektor – sind spürbar unter Druck. Dies wird zu einem Rückgang der Inflation führen und damit den Druck von den Notenbanken nehmen, die Zinsen immer weiter zu erhöhen. Umgekehrt stellt sich aber die Frage, wie stark der wirtschaftliche Abschwung wird. Die Rohstoffpreise fallen in Erwartung einer globalen Rezession, die die Nachfrage bremst. Es wird aus unserer Sicht ein zu starker Rückgang eingepreist.

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