Inflation ist ein temporäres Problem

Inflationskessel

Marktupdate 26/2022

Markus Schön, Dienstag 28. Juni 2022

In der vergangenen Handelswoche setzte endlich die von uns seit langem erwartete Beruhigung bei Zinspapieren ein. Während der deutsche Leitindex nahezu unverändert schloss, gewannen deutsche Bundesanleihen fast 3% in einer Woche hinzu. In der Folge konnten auch besonders bonitätsstarke Unternehmens-anleihen steigen, während insbesondere Nachrangpapiere noch sehr schwach blieben. Dies überrascht umso mehr, weil auch die Aktien in den USA deutlich hinzugewinnen konnten, während sich der US-Dollar um fast 1% im Wochenvergleich ermäßigte. Ursache für die deutlich stärkere Entwicklung der US-Indices im Vergleich zu Europa waren die Ausführungen des US-Notenbankpräsidenten Jerome Powell, der Markt preise das Zinsniveau richtig und ein Rückgang eines Inflations-Index. Damit sehen wir unsere These bestätigt, dass die Inflation auch in Deutschland und Europa ihren Hochpunkt überschritten haben wird. Daher erwarten wir zum Ende der vor uns liegenden Handelswoche eine positive Überraschung hinsichtlich einer im Juni 2022 nach ersten Schätzungen geringeren Inflation als erwartet. Dies werden dann die Politiker – Stichwort Tankrabatt – und die EZB – Stichwort Ende der Anleihekäufe – für sich verbuchen. Beides ist „grober Unfug“. Nur die Erwartung einer weltweiten Rezession sorgt für fallende Preise. Dies zeigt sich beim Ölpreis ebenso wie bei Industrie-metallen. So weisen Eisenerz und Kupfer inzwischen zweistellige Prozentrückgänge aus, obwohl sich die Situation insbesondere in China zu stabilisieren scheint. Die Aktienmärkte dort steigen wieder; die chinesische Inflation ist niedrig, weil China das russische Erdöl eben nicht zu den sehr hohen Marktpreisen, sondern mit erheblichen Rabatten kaufen kann.

Da muten die G7-Beschlüsse eines Handelsverbots für russisches Gold und ein Milliardenprogramm, um den globalen Einfluss Chinas zurückzudrängen, schon verzweifelt an. Fast 600 Mrd. Euro globales Programm – auch zur Erschließung von Gasvorkommen in Afrika – klingen beeindruckend, sind aber gegen die Rohstoffreserven Russlands ein Tropfen auf den heißen Stein. Es erinnert ein bisschen an das Bonmot: Das Geld, das man nicht hat, kauft einem Dinge, die man nicht braucht, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag. Russland hat hingegen tatsächlich allein Goldreserven, die größer als das aktuell beschlossene G7-Paket sind. Dabei nimmt Russland mit Goldexporten 14 Mrd. Euro pro Jahr ein. Die Mehrerlöse durch die starken Steigerungen der Energierohstoffe liegen bei einem Vielfachen dieses Wertes. Zudem ist die Verschuldung Russlands mit 20% des Brutto-Inlandsprodukt gerade im Vergleich zu den G7-Staaten verschwindend gering. Auch wirtschaftlich ist Russland nur schwierig beizukommen, weil 40 Staaten, die Sanktionen beschlossen haben, 160 Staaten weltweit gegenüberstehen, die Russland eben nicht sanktionieren. Dazu gehört neben den rohstoffhungrigen Staaten China und Indien auch Israel, dessen Volkswirtschaft zu den führenden Technologieregionen weltweit zählt. Wenn man Russland als Wirtschaftszwerg bezeichnet, ist dies mit Blick auf viele volkswirtschaftlichen Kennzahlen richtig, aber Russland ist weit weniger schuldenfinanziert als der Westen und teilweise auch China. Wenn das Vertrauen in Kreditmärkte platzt, gefährdet es die USA, Japan, Großbritannien und weite Teile der EU; Russland ist davon schon jetzt kaum abhängig und diese geringe Abhängigkeit sinkt immer weiter, je mehr Russland durch die Sanktionen von den Weltfinanzmärkten abgeschnitten ist. Diese – derzeit zumindest gefühlte – Stärke lässt Wladimir Putin Europa immer mehr spüren. Über das Volumen der Gaslieferungen bestimmt Russland die Energiepolitik Europas und vor allem Deutschlands und hat für die geringeren Liefermengen sogar das Argument, durch die Sanktionen werden zu wartende Turbinen nicht nach Russland zurückgeliefert. Es wäre spannend, was geschehen würde, wenn die in Kanada befindliche Turbine für die nach Deutschland gehende Gas-Pipeline Nord Stream 1 tatsächlich wieder in Russland wäre. Würde man dies zeitlich gut positionieren, hätte man damit den russischen Präsidenten möglicherweise gegenüber der Weltöffentlichkeit – auch in diesem Kontext – als Lügner überführt. Vermutlich würden dann in Deutschland und Frankreich die Appelle, Energie zu sparen, ernster genommen. In beiden Staaten unterschätzt man die Gefahren deutlich, während die Aktienkurse der europäischen Konzerne, deren Geschäftsmodell existenziell von der Gasversorgung abhängt, deutlich unter Druck sind. Wenn der weltgrößte Chemiekonzern BASF mehr als 40% seines Börsenwertes eingebüßt hat, ist dies ein klares Warnsignal. Sollte es zu einem Lieferstopp kommen, gibt es in Europa genug Großanlagen, deren Abschaltung dann dauerhaft wäre.

Entsprechend groß ist in nahezu allen Bereichen die Unsicherheit. Anders als die allgemeine Stimmung widerspiegelt und teilweise an den Aktienmärkten zu erleben ist, werden in vielen Bereichen des Kapitalmarkts bestehende Gewissheiten hinterfragt. Anders ist nicht zu erklären, weshalb eine knapp zwei Jahre laufende Nachrang-Anleihe des Bayer-Konzerns mit 6% p. a. rentiert, während sich die Aktie relativ robust präsentiert. Es sind Marktbewegungen, denen jede fundamentale Grundlage fehlt. So geboten die Erholung bei erstklassigen Anleihen aus unserer Sicht war, so fragwürdig bleibt die Schwankungsbreite, die nahezu alle Segmente des Rentenmarktes betrifft und für extreme Bewegungen in nahezu allen Bereichen sorgt.

Natürlich trifft dies auch auf das Aktiensegment zu. Hier war zumindest in Deutschland die Entwicklung des online- Versandhändlers Zalando interessant. Die Aktie hatte innerhalb eines Jahres 75% an Wert verloren und ermäßigte sich am vergangenen Freitag nach einer weiteren Gewinnwarnung zwischenzeitlich um fast 20%. Am Ende eines positiven Handelstages hatte sich das Minus auf 2% relativiert. Nun muss man sich allerdings fragen, ob tägliche Bewertungsschwankungen im Milliardenbereich als „normal“ eingestuft werden können. Schließlich funktionieren Börsen nur dann, wenn es auf jedem Kursniveau Käufer und Verkäufer gibt. Durch solche, fundamental schlicht nicht zu erklärende Bewegungen geht weiteres Vertrauen verloren, dass immer stärker die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte – nicht nur kurzfristig – beeinträchtigen kann.

Das Vertrauen wird auch durch politische Lügen untergraben. So notiert der Russische Rubel auf dem stärksten Stand seit vielen Jahren. Wenn nun über einen Zahlungsausfall Russlands fabuliert wird, entspricht dies den alternativen Fakten, die sich durch die US-Präsidentschaft Donald Trumps zogen. Tatsächlich resultiert dieser „Zahlungsausfall“ aus Rückzahlungen von Fremdwährungsanleihen in Russischen Rubel. Für die meisten Anleger in diesen Papieren kommt neben der Rückzahlung zu 100% und dem teilweise sehr attraktiven Zins nun auch noch ein deutlicher Währungsgewinn. Mindestens an dieser Stelle gehen die Sanktionen ins Leere. Je schneller man dies anerkennt, desto eher kann man mit „besseren“ Sanktionen reagieren oder die Frage stellen, wie eine Lösung der aktuellen Situationen aussehen soll.

Zwar geben die Preise für Öl nach, aber das Niveau ist immer noch sehr hoch und Russland verdient mit den deutlich reduzierten Exporten beim Erdgas durch die Preissteigerungen ungefähr so viel wie vor dem Ukraine-Krieg. Zudem wird immer wieder vergessen, dass die Energierohstoffe nicht „auf Halde produziert“ wurden und dort massive Kapazitätsengpässe drohen, wenn man den teilweise größten Produzenten versucht, vollständig auszugrenzen. Die fallenden Preise in anderen Rohstoffbereichen sind damit nicht überraschend. Sie sind eher logische Folge der Entwicklungen, weil eine Energieknappheit zu wirtschaftlichen Rückgängen führen wird. Die entscheidende Frage ist, ob man den damit verbundenen Preis tatsächlichen zahlen will. China und Indien werden die sich ergebenden Chancen sehr schnell nutzen.

 

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