Vor-Corona-Niveau der Börse liegt noch in ferner Zukunft
Marktupdate 24/2020
Markus Schön, Dienstag 16. Juni 2020
So schnell kann es gehen. Nach zwei Wochen rauschhafter Anstiege der Aktienindices weltweit sorgte ausgerechnet die US-Notenbank mit einem verhaltenen Ausblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung für Ernüchterung. Zuvor hatte man bereitwillig auf Thesen u. a. von Donald Trump gehört, der von einem Aufschwung im 3. Quartal und einem Boom im 4. Quartal 2020 sprach. Der US-Notenbankpräsident Jerome Powell stellte jedoch dar, dass man eher mit einer wirtschaftlichen Erholung rechne, bei der das Vor-Corona-Niveau erst wieder Ende 2022 erreicht sein könnte. Die an den Börsen euphorisch gefeierte Hoffnung auf eine „V-förmige“ Erholung wurde so erheblich gedämpft. Gleichzeitig fielen nahezu alle Konjunkturdaten schwächer als erwartet aus und dann war es kein Trost mehr, dass man vermutlich – je nach Branche – im April bzw. Mai 2020 die Talsohle erreicht hatte. Irgendwann fällt eine Wirtschaftsleistung nicht mehr weiter. Das ist aber eben nicht mit einer Erholung der Wirtschaft gleichzusetzen. Hier hat die OECD mit einer Analyse viele Marktteilnehmer überrascht, da sie für das 2. Quartal 2020 von einem Kollaps der Weltwirtschaft sprach.
Viele Volkswirtschaften werden in diesen drei Monaten Rückgänge der jeweiligen Wirtschaftsleistung von 20 bis 30% zu verkraften haben. Auf das Gesamtjahr 2020 betrachtet dürfte die Weltwirtschaft mindestens 6% schrumpfen. Diese Annahme bedingt jedoch das Ausbleiben einer zweiten Pandemie-Welle, die möglicherweise in China gerade beginnt, in den USA schon ziemlich deutlich wahrnehmbar ist und dies passiert, während Brasilien, Indien, Bangladesch und der gesamte afrikanische Kontinent noch mitten in der ersten Welle stecken. Neben dem globalen Abschwung fehlt auch eine Volkswirtschaft, die als Wachstumsmotor für die Weltwirtschaft dienen kann. Nach der Finanzkrise 2008 war das China; jetzt wäre Indien der Favorit, aber dort ist die Pandemie noch in einem frühen Anfangsstadium. Deutlich bessere Perspektiven bieten Neuseeland und Australien.
Schließlich haben diese beiden Staaten tatsächlich Corona – mindestens vorerst – weitgehend im Griff. Allerdings sind beide Volkswirtschaften als globaler Wirtschaftsmotor zu klein. Dies gilt auch für Deutschland. Allerdings ist dort das Konjunkturprogramm weniger in einen globalen Kontext eingeordnet, was letztlich in einem Umfeld immer größeren Protektionismus auch zwingend notwendig ist. Allerdings fehlt dadurch auch die Vernetzung mit anderen EU-Staaten und der EU selbst, in der ja in der kommenden Woche über ein eigenes Hilfspaket abgestimmt werden wird. Wenn dort erwartungsgemäß keine Einigung erfolgt, werden die sehr unterschiedlichen Interessen innerhalb der EU sehr deutlich zu Tage treten. Dies ist dann auch ein Belastungsfaktor für den Euro und zeigt, wie illusorisch das heute wiederholte Anliegen des französischen Präsidenten Macron ist, Europa zukünftig unabhängiger von China und den USA zu machen. Letztlich zeigen auch die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien zur Regelung der Vertragsbeziehungen nach dem BREXIT sehr deutlich, dass sozusagen aus einer britischen Außensicht die EU nicht einmal ein attraktive Handels- und Wirtschaftsangebot für Drittstaaten mehr bietet.
Dieses Warnsignal wird in Europa unterschätzt. Stattdessen berauscht man sich am vermeintlich größten Binnenmarkt der Welt und vergisst auch hier eine grundlegendere Betrachtung. Schließlich fiel man in der Pandemie sehr schnell in Kleinstaaterei zurück und schafft es jetzt nicht, auf europäischer Ebene eine Impfstrategie zu entwickeln. Zwar ist es positiv, wenn vier Staaten nun bei AstraZeneca 400 Millionen Impfdosen gesichert haben, aber es verfestigt sich der Eindruck, dass sich die EU von einer gemeinsamen Wertegemeinschaft zu einer „Koalition der Unwilligen“ entwickelt. Vor diesem Hintergrund ist es nur ein schwacher Trost, wenn die Situation in den USA aufgrund der gesellschaftlichen Konflikte noch schwieriger ist und in China restriktivere Maßnahmen ergriffen werden müssen, um eine zweite Welle der Corona-Pandemie möglichst zu verhindern oder zumindest schnellstmöglich einzudämmen. Diese unsichere Gesamtsituation hat sich zu Recht mit fallenden Kursen an den Aktienmärkten bemerkbar gemacht. Dabei hat auch die Liquidität die Aktien nicht gestützt, obwohl die Überzeichnungen bei Anleihen zeigten, wie viel Geld Anlagemöglichkeiten sucht.
Diese Liquiditätsflut ist natürlich auf die Notenbankpolitik zurückzuführen. Allerdings sorgte die US-Notenbank nach dem pessimistischen wirtschaftlichen Ausblick für die zweite Enttäuschung, da keine weiteren Maßnahmen beschlossen wurden, sondern die US-Notenbank eine abwartende Haltung einnahm, aber gleichzeitig die Politik relativ offen aufforderte, mehr zu tun. Dabei ist die Verschuldung der USA jetzt schon dramatisch, jede weitere Konjunkturmaßnahme muss kreditfinanziert werden und reduziert die Spielräume für zukünftige Krisen weiter. Aber auch hier sind die Möglichkeiten begrenzt. Selbst negative Zinsen würden Verbraucher nicht zu mehr Konsum bringen, wenn sie nicht mit einer positiven Entwicklung in der Zukunft rechnen. Unternehmen werden ebenfalls nicht investiert, weil Geld so billig ist, auch wenn die US-Notenbank Unternehmenskredite jetzt ab 250.000 US-Dollar den Geschäftsbanken „abnimmt“. Ohne eine Gewinnerwartung erfolgen in der Realwirtschaft keine Investitionen. Mit diesem Problem kämpft Europa länger.
Hier fehlten – vielleicht mehr als in den USA – Ideen für zukünftige Geschäftsmodelle. Dieser negative Trend schwappt aber nun virusbedingt auch in die USA über. Die US-Technologieunternehmen – zuletzt der wertvoller als Ford Motors, jedoch bislang umsatzlose Wasserstoffpionier Nikola – , aber auch die vom US-Präsidenten Donald Trump getriebene Illusion einer schnellen Erholung überdecken dies noch. Aber auch in den USA sind eindeutig deflationäre Tendenzen zu erkennen, die ein weiteres Risiko für die Weltwirtschaft darstellen können. Wenn Geld immer mehr Kaufkraft bekommt, werden Konsumausgaben und Investitionen zurückgestellt. Umgekehrt bedeutet dies, wer viel (liquides) Vermögen hat, wird immer reicher. Neben Unternehmen wäre eine solche Entwicklung für viele, vor allem hoch verschuldete Staaten dramatisch. Da das Vermögen des Einen die Schulden des Anderen sind, würde bei einer Deflation die Verschuldung in Relation zur Kaufkraft steigen und bei sinkenden Steuereinnahmen die Schuldentilgung immer schwieriger machen.
Deswegen treibt die Notenbanken derzeit die Sorge vor einer Deflation besonders um. Deswegen gab es in Europa eine realwirtschaftlich überhaupt nicht benötigte, weitere Lockerung der Geldpolitik. So hofft man, den deflationären Tendenzen zu begegnen und gleichzeitig den Außenwert des Euros zu schwächen, um durch günstigere Wechselkurse die Exporte zu erleichtern und gleichzeitig durch höhere Importpreise in Folge eines „billigen Euros“ sozusagen Inflation zu importieren. Allerdings entspricht dieser Ansatz der Grundausrichtung nahezu aller Notenbanken und damit verpuffen die gewünschten Effekte. Lediglich die globale Geldmenge wächst exponentiell und erhöht damit die Risiken. Schließlich fallen hohe Zinsen als Risikoindikator weg und der risikolose Zins wird wieder zum zinslosen Risiko. Wie schnell dies in die andere Richtung gehen kann, hat sich aber im März und April 2020 gezeigt, als plötzlich weltweit sehr hohe Zinsen möglich waren. Die Normalisierung ist international immer noch nicht eingetreten, weshalb gerade US-Dollar, aber auch Australischer und Neuseeländischer Dollar weiterhin sinnvolle Beimischungen darstellen.
Wenn man von einer langsameren Erholung der Weltwirtschaft ausgeht und in China, anderen asiatischen Staaten und Europa eine zweite Welle der Corona-Pandemie fürchtet, stellt sich sofort die Frage nach den Rohstoffpreisen. Besonders sensibel ist der Ölpreis, der in den letzten Tagen 6% an Wert verloren hat. Er dürfte nach der derzeitigen Kenntnis der Wirtschaftslage auch eher mit 30, als mit 40 US-Dollar fair bewertet sein. Wichtig wäre für das gesamte Segment eine Beruhigung der Kursausschläge. So starke Bewegungen sind ein Belastungsfaktor für die Realwirtschaft, da Kalkulationen deutlich erschwert werden. Irrational ist der starke Anstieg des Goldpreises in Relation zum Silber. Letzteres wird industriell benötigt, während Gold nur ein Wertaufbewahrungsinstrument ist. Unter einer deflationären Entwicklung würde aber auch Gold leiden. Schließlich sinkt auch der Wert des Goldes, wenn Liquidität wertvoller wird. Wie immer ist es dann die Frage der Geschwindigkeit. Wer dieses Risiko als Erster zum spätmöglichsten Zeitpunkt – also unmittelbar vor dem „Crash“ erkennt, profitiert am meisten. Dann verkauft man auf Höchstkurs und gewinnt mit der Liquidität weiter hinzu.
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