Werden Aktienanlagen zum ertragslosen Risiko?

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Marktupdate 08/2022

Markus Schön, Dienstag 22. Februar 2022

 

Auf die aktuellen Marktentwicklungen eine Antwort zu geben, erscheint nicht einfach. Naheliegend mag die Erklärung durch die Unsicherheit sein, aber da gab es in den letzten Tagen eher Signale einer Beruhigung. Die Omikron-Welle in Europa ebbt dynamisch ab, die Notenbanken senden – analog zu unserer Erwartung – sehr verhaltene Signale zu einer Straffung der Geldpolitik und Russland erklärt das Militärmanöver an seiner Westgrenze für beendet. Von der angekündigten Truppenreduzierung ist allerdings nichts zu sehen. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Gleichzeitig nehmen die Meldungen über Auseinandersetzungen in den von Separatisten besetzten Gebieten der Ukraine zu. Ein militärischer Konflikt wird an den Börsen zunehmend erwartet. Entsprechend ist die Unsicherheit aber nur mit dem Ausmaß und den dann Russland drohenden Sanktionen zu erklären. Es stellt sich aber die Frage, ob dies ein Jahresminus 2022 beim Nasdaq von inzwischen fast 15% und den Rückgang des DAX-Kursindex – also ohne Dividenden – fast auf den Stand zur Jahrtausendwende wirklich rechtfertigt. Ohne Dividenden stehen marktbreite DAX-Anleger also auf dem Niveau von vor rund 20 Jahren. „Nichts gewonnen, nichts verloren“ ist dabei nicht ganz richtig, weil diese Kursbetrachtung ja ein theoretischer Wert ist. Schließlich wechselten in der Vergangenheit die DAX-Werte häufiger als Fußball-Bundesliga-Trainer. Provokant könnte man also formulieren, dass die Ukraine-Krise wie ein Brennglas den Fokus auf die langfristige Erfolglosigkeit von Aktienanlagen legt und damit eine Behauptung vieler Banken und Sparkassen, Aktien seien „alternativlos“ widerlegt. Natürlich ist dies so nicht völlig richtig. Langfristig können Aktien eine attraktive Beimischung sein. Sie sind eben nur nicht besser als Anleihen, bei denen jedoch alles etwas komplexer ist. Vor allem scheint es aber zu kurz gedacht zu sein, die Ukraine-Krise für die aktuellen Entwicklungen an den Kapitalmärkten ausschließlich verantwortlich zu machen. Die Unsicherheit und die damit verbundene Nervosität insbesondere an den Aktienmärkten offenbaren ein tieferliegendes Problem.

 

Fast jedem waren in den letzten Jahren die teilweise immensen Marktbewertungen gerade im US-Technologiesektor bewusst. Nahezu alle gaben sich der Illusion hin, dies werde ewig so weitergehen. Aber jetzt fegt ein – hoffentlich reinigendes – Gewitter über Amazon, Facebook, Netflix u. a. hinweg. Tatsächlich kann man bei Werten wie der Facebook-Mutter Meta oder PayPal wieder von realistischen Marktbewertungen sprechen. Teilweise liegen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse bei 20, was bedeutet, dass die Unternehmen mit dem 20-fachen ihres erwarteten Jahresgewinns bewertet sind. Vor 25 Jahren waren Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 10 bis 12 das „Normale“ – natürlich mit Ausnahme der Internetblase zur Jahrtausendwende, als schon einmal Bewertungen keine Rolle spielten. Das vorherrschende Argument für die teilweise abstrusen Bewertungen war das niedrige Zinsniveau, das sich aber zumindest in den USA in den letzten Wochen und Monaten deutlich relativiert hat. Inzwischen notieren zehn Jahre laufende US-Staatsanleihen wieder bei knapp 2% p. a. und liegen deutlich über der Dividenden-Rentabilität vieler Aktien. Der Anstieg und das Halten des relativ hohen Niveaus überraschen etwas, nachdem auch die US-Notenbank deutlich gemacht hat, bei Zinserhöhungen sehr bedacht vorzugehen. Die von vielen Markteilnehmern unsinnigerweise erwartete Zinserhöhung um 50 Basispunkte im März 2022 wird ebenso wenig wie eine noch früherer „Noterhöhung“ erfolgen. Vielmehr wird bei der kommenden Zinsentscheidung der US-Notenbank im kommenden Monat eine Erhöhung um 25 Basispunkte erfolgen. Damit ist auch die seltsame Erwartung einiger Analysten vom Tisch, am Jahresende 2022 stünde der US-Leitzins bei 1,75% p. a. Wir halten an unserer Auffassung fest: Wenn der Leitzins auf oder über der 1%-Marke liegen sollte, wäre dies überraschend. Noch verhaltener positioniert sich die EZB, die sehr vorsichtig zu einer möglichen Änderung der Geldpolitik agiert. Diese Vorsicht der Notenbanken und die Nervosität sind ein großes Warnsignal. Trotz einer überwiegend die erzielten Ergebnisse betreffend positiven Berichtssaison – allerdings mit verhaltenen Ausblicken – bleibt das Aktienmarktumfeld sehr schwankungsanfällig. Vordergründig scheint der wesentliche Belastungsfaktor der Ukraine-Konflikt zu sein. So dramatisch eine Zuspitzung politisch und für die Weltgemeinschaft wäre, wirtschaftlich bleiben die Folgen überschaubar, solange Russland die Energieversorgung Europas sicherstellt. Wirtschaftlich würde sich die relativ starke Volkswirtschaft noch stärker Richtung Asien und dem Nahen Osten orientieren, während die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen Europas und der USA überschaubar blieben, wenn die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland zum Erliegen kämen. Daher wird derzeit an den Kapitalmärkten entweder eine Ausweitung des Konflikts über die Ukraine hinaus, weitere Negativereignisse wie ein Angriff Chinas auf Taiwan, eine erneute Zuspitzung der Corona-Pandemie o. ä. oder Gegen-Sanktionen Russland im Rohstoffbereich eingepreist. Das letztgenannte Szenario stellt tatsächlich eine massive Bedrohung der wirtschaftlichen Perspektiven Europas dar. Zu den weiterhin gestörten Lieferketten, den durch Corona-Restriktionen eingeschränkten Personalkapazitäten, dem Rohstoffmangel – insbesondere im Technologiesektor – käme noch eine Energieknappheit hinzu, die viele negative Folgen hätte.

 

Insbesondere die Inflationsentwicklung würden explodierende Energiepreise weiter antreiben. Hier könnte jede Notenbank der Welt die Zinsen anheben; an den Preissteigerungen würde dies nichts ändern. Ein solches Szenario wäre ein ähnlicher, exogene Schock wie der Beginn der Corona-Pandemie. Er wäre jedoch umgekehrt. Einer weitgehend unveränderten Nachfrage stünde dann ein begrenzteres Angebot zur Verfügung. Die aktuelle Situation würde sich also duplizieren. In diesem Szenario würden dann Zinssteigerungen ganz schnell auch wieder Bonitätsfragen aufwerfen und für Kreditrisiken sorgen. Dies beträfe aber viel stärker Aktien. Schließlich sind diese Eigenkapital, das im Fall einer Insolvenz oft vollständig aufgezehrt ist oder als Sicherheit dient.

 

Bei Anleihen hat man selbst im negativsten Fall einer unternehmerischen Entwicklung eher Chancen, das Geld zurückzubekommen. Vergleicht man den laufenden Ertrag, erscheinen zumindest aktuell viele Aktien ein „ertragsloses Risiko“ zu werden. Die Gewinnerwartungen stellen auf eine weiterhin gute wirtschaftliche Entwicklung ab, die jedoch nur in Teilen gerechtfertigt ist. Viele Unternehmen sind an Kapazitätsgrenzen, weil die Vorprodukte fehlen, Rohstoffe nicht verfügbar sind oder zu wenig qualifiziertes Personal gewonnen werden kann. Zusammen mit den im historischen Vergleich weiterhin sehr hohen Bewertungen überwiegen die Gefahren. Daher bleiben Verschuldung, Unternehmenssubstanz und Zukunftsfähigkeit die wichtigsten Erfolgsfaktoren für den Erfolg bei Aktienanlagen.

 

Hierzu zählen US-Konsumwerte aktuell eher weniger. Zwar sind die Konsumausgaben sehr positiv gewesen. Das eher die Zukunft prognostizierende Verbrauchervertrauen in den USA ist aber auf einem neuen Tiefpunkt angekommen. Zusammen mit der klaren Positionierung der US-Notenbank, keinen großen Zinsschritt vornehmen zu wollen, hat dies den Auftrieb des US-Dollars etwas gebremst. Die über 175 Basispunkten liegende Zinsdifferenz macht den US-Dollar als Beimischung weiterhin attraktiv. Dies gilt auch für nahezu alle rohstoffnahen Währungen, auch wenn die Norwegische Krone nach einem leichten Ölpreisrückgang besonders unter Druck kam und sich mit einem Wochenminus von über 1% deutlich schwächer als der Russische Rubel entwickelte, dessen leichter Verlust der politischen Lage geschuldet ist.

 

Der Rückgang des Ölpreises um knapp 2,5% im Wochenvergleich resultierte weniger aus einer sich leider nicht bestätigenden Entspannung in der Ukraine, sondern aus einer wahrscheinlichen Einigung im „neuen“ Atomabkommen mit dem Iran, das Donald Trump während seiner US-Präsidentschaft beendet hatte. Nun hat die Einigung im Zuge der Zustimmung der Situation mit Russland ein „Geschmäckle“, zeigt jedoch, wie lange tatsächlich noch fossile Brennstoffe der Treibstoff der Weltwirtschaft bleiben werden. Wendet sich Russland tatsächlich von der Energieversorgung Europas ab, müssen Alternativen gefunden werden. US-Flüssiggas und Fracking-Förderungen werden dort nicht reichen. Also wird der US-Feind von gestern und vorgestern nun wieder zu einem Partner. Auch solcher Unsicherheit tragen die Märkte Rechnung. Die Edelmetallpreise steigen weiter.

 

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