Volkswirtschaftliche Folgen einer Cent-Münzen-Abschaffung
Marktupdate 05/2020
Markus Schön, Mittwoch 05. Februar 2020
Das renommierte Wirtschaftsmagazin Manager Magazin greift meine Thesen zu dem unsinnigen Plan einer Abschaffung von 1- und 2-Cent-Münzen in meiner aktuellen Meinungsmache auf.
Die EU denkt darüber nach, die Ein- und Zwei-Cent-Münzen abzuschaffen. Cent-Beträge in der zweiten Nachkommastelle würden dann künftig auf null oder fünf gerundet, die Niederländer machen das heute schon so. Kosten, Gewicht, Material und nicht zuletzt die wenig überzeugende Ökobilanz sprechen für den Plan, die lästigen Minimünzen zu verbannen. Dies ist alles richtig, aber dennoch ist die Überlegung ein falsches Signal, das überdies zum falschen Zeitpunkt und aus den falschen Gründen kommt.
Markus Schön ist Vermögensverwalter und Geschäftsführer der Schön & Co GmbH. Er hat mehrere Bücher geschrieben und 2007 die gemeinnützige Giving Tree Stiftung gegründet, die benachteiligte Kinder und Jugendliche unterstützt.
Schon meine Großmutter hat mir beigebracht: „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.“ Der Satz mag altbacken klingen, doch er hat nach wie vor seine Gültigkeit und Berechtigung, auch wenn wir längst mit Euro und Cent bezahlen. Nehmen wir als Beispiel ein ganz normales Brötchen vom Bäcker, das handwerklich gut gemacht heute 29 Cent kostet. Zukünftig wird der Kunde dafür 30 Cent bezahlen müssen, schließlich gibt es dann ja keine Möglichkeit mehr, ein oder zwei Cent Rückgeld zu erhalten. Wenn es ein Brötchen für die Frühstückspause am Arbeitsplatz ist, kostet diese möglicherweise liebgewonnene Gewohnheit pro Jahr 230 Cent mehr. Das ist der Gegenwert von fast acht Brötchen oder 3,5 Prozent der Jahresbrötchenmenge.
Um diesen Prozentsatz würde in diesem fiktiven Beispiel dann auch die Inflation steigen. Natürlich kommt der Verzicht auf Ein- und Zwei-Cent-Münzen nicht mit dieser Dynamik in der Geldentwertung an. Aber wenn das Brötchen aktuell 28 Cent und zukünftig 30 Cent kostet, liegt die Steigerungsrate schon bei 7 Prozent. Dass künftig kaufmännisch gerundet würde, ist kaum vorstellbar. Auch ein Brötchen für 26 Cent würde in der neuen Geldwelt eher auf 30 Cent auf- als auf 25 Cent abgerundet werden.
Dieser politische Plan hätte also einen kurzfristigen Effekt auf die Inflationsrate. Statt bei rund einem Prozent wäre allein durch die Masseneffekte einer Cent-Münzen-Abschaffung eine Geldentwertung auf dem Zielniveau der Europäischen Zentralbank von etwa zwei Prozent gut erreichbar. Ein solches Inflationsbeschleunigungsprogramm würde politisch zudem nicht nur akzeptiert, es würde sogar als politisch korrekt gelten: Schließlich würde der Verzicht auf Ein- und Zwei-Cent-Münzen sowohl Rohstoffe als auch CO2 einsparen. Der Effekt wäre allerdings minimal, andere Maßnahmen wie etwa der Verzicht auf die höchst umweltschädliche Elektromobilität hätten eine viel größere ökologische Wirkung.
Als Nebenprodukt zum eher geldpolitischen Ziel einer steigenden Geldentwertung hätte die Kleingeldkürzung noch einen weiteren, fiskalischen Effekt: Auch die Mehrwertsteuer-Einnahmen würden steigen. Gleichzeitig würde die Attraktivität von Bargeld gesenkt. Denn unbare Zahlungen mit Ein- oder Zwei-Cent-Münzen wären ja unverändert möglich. Vielleicht findet man zukünftig solche Schilder beim Bäcker: Brötchen 29 Cent mit Karte, 30 Cent für Barzahler. Damit würde die Bonpflicht eine völlig neue Berechtigung erhalten. Gleichzeitig würden neue Ertragsquellen für Zahlungsdienstleister erschlossen. Dazu zählen nach wie vor Banken und Sparkassen, deren steigende Kosten in keinem Verhältnis zu den teilweise dramatisch einbrechenden Erträgen mehr stehen.
Damit würde ein weiteres altes Sprichwort ausgehöhlt: „Nur Bares ist Wahres“. Einsparungen bei Käufen des täglichen Bedarfs, die über dem „Skonto bei Barzahlung“ liegen, geben einen Ansporn, immer öfter unbar zu bezahlen. Damit werden die Kontrollmöglichkeiten des Staates immer größer und die Bürger noch gläserner als bisher. Vielleicht ist dies der Preis, den viele für mehr persönlichen Komfort bereit sind zu zahlen. Dies sollte aber nicht unterschwellig geschehen, sondern offen und transparent. Wer seine Privatsphäre der Bequemlichkeit opfern will, sollte dies tun können; er muss es nur wissen damit er auch die Alternative hat, sich anders zu entscheiden.
Mit der Abschaffung der Ein- und Zwei-Cent-Münzen geht aber noch ein anderer gesellschaftlicher Wandel einher: Der Wert des Geldes sinkt. Früher hat sich Konsumverzicht – also Sparen – gelohnt. Mit sinkenden Zinsen und Renditen, die bei Banken, Sparkassen und vielen Staaten nicht einmal mehr das Risiko bepreisen, ist der sofortige Konsum – das Geldausgeben anstelle des Sparens – noch verlockender geworden. So geht auch das Korrektiv des Nachdenkens über den tatsächlichen Bedarf völlig verloren.
Wenn man jetzt noch den Wert des Geldes vernichtet, in dem man bestimmte Münzstückelungen verbietet, unterstützt man damit indirekt den Konsum und konterkariert die notwendige Reflektion über eine nachhaltige Ausgestaltung einer modernen Volkswirtschaft. Vor allem aber wächst gerade eine Generation heran, der jeder Anreiz zum Konsumverzicht fehlt. Langfristig wird ohne den Reiz des Zugewinns auch die Sparneigung sinken. Dann lebt man nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch von den Ressourcen der Zukunft. Das wird nicht funktionieren. Ein (überschaubarer) Nutzen heute, darf nicht auf Kosten größerer Schaden in der Zukunft zum Leitbild des politischen oder wirtschaftlichen Handelns werden.