Anlagenotstand… das Schlimmste kommt erst noch
Marktupdate 04/2020
Markus Schön, Montag 27. Januar 2020
Eine weltweite Mindeststeuer für Unternehmen soll kommen – nicht die einzige Überraschung, die Insider Markus Schön in seiner tiefgreifenden Analyse aufzeigt.
Das Weltwirtschaftsforum in Davos fand zum 50 Mal statt und selten zuvor traten die Konflikte so offen zu Tage wie in diesem Jahr. Der US-Präsident Donald Trump setzte sich an die Spitze derer, die Zweifel an einem menschengemachten Klimawandel haben. Ihm gegenüber standen die Klima-Aktivisten der „Fridays-for-Future“-Bewegung, die das Treffen der weltweit wichtigsten Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft thematisch bestimmten. Alles andere rückte völlig in den Hintergrund.
Dabei hat das Treffen in Davos einen Fortschritt hinsichtlich der Einführung einer weltweit gültigen Mindeststeuer geschaffen. Unter Führung der OECD könnte es in diesem Jahr zu einer Regelung kommen, mit der sich 137 Staaten weltweit verpflichten, eine Mindeststeuer für Unternehmen einzuführen.
Ebenso wenig wurde in Davos der offizielle Termin für den am Ende der vor uns liegende Woche anstehende Brexit thematisiert, obwohl Trump ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien noch in diesem Jahr anstrebt und der britische Premierminister Strafzölle für deutsche Autos in Großbritannien in die Diskussion brachte. Entsprechend groß bleiben auch hier die Differenzen zwischen vielen Volkswirtschaften.
Vermutlich wird es nicht lange dauern, bis Donald Trump seine protektionistische Handelspolitik mit Blick auf den Ausbruch einer neuartigen Viruserkrankung in China lobt. Wenn es keinen globalen Austausch von Waren und Dienstleistungen mehr gibt – so könnte seine Darstellung lauten –, besteht ja auch kein Risiko weltweiter Pandemien.
Tatsächlich zeigten sich die Kapitalmärkte dort überwiegend unbeeindruckt. Der DAX hatte trotz der Einschränkungen in China, von denen fast 50 Millionen Menschen betroffen sind, sogar ein „Allzeithoch“ erreicht. Zusammen fiel dies mit Berichten von weiteren Entlassungen, Kurzarbeit und einer sich eintrübenden Stimmung bei den mittelständischen Unternehmen in Deutschland.
In dieser volkswirtschaftlich bedenklichen Ausgangslage war es wenig überraschend, dass die EZB in ihrer ersten Sitzung in diesem Jahr finanzpolitisch vorsichtig agierte und eher weiter geldpolitisch expansive Signale aussendete. Zusammen mit den Sorgen um die weitere Entwicklung in China hat dies die Rendite für deutsche Bundesanleihen massiv in den negativen Bereich gebracht. Dies war ein klares Risikosignal, das am Aktienmarkt bislang nicht angekommen ist. Dies verwundert umso mehr, da auch der Ölpreis in den letzten Tagen stark unter Druck gekommen ist und im Wochenvergleich fast 8 Prozentpunkte verloren hatte. Umgekehrt waren die „sicheren Häfen“ wie Gold, US-Dollar und Schweizer Franken gesucht. Es wird also spannend sein, ob die eher vorsichtigeren Anleger Recht haben oder die Optimisten den DAX mit bald 14.000 Punkten richtig vorhersagen.
Letzteres ist aus unserer Sicht eher unwahrscheinlich, weil gerade in Deutschland die wichtigen Branchen Automobil, Chemie und Maschinenbau teilweise deutlich unter Druck stehen. So steht die Aktie der Daimler AG nahe eines Mehrjahrestiefs, während Tesla hinsichtlich der Marktkapitalisierung teilweise Volkswagen überholt hatte. Das Bestreben in Technologiewerte anzulegen, treibt insbesondere die US-Werte.
Inzwischen ist allein Apple mehr Wert als alle DAX-Werte zusammen. Hier ist eine Blase entstanden, deren Platzen zu einem massiven Vertrauensverlust führen würde. Realwirtschaft und Kapitalmärkte haben sich – ähnlich, aber noch nicht so gravierend wie in den 1920iger Jahren – entkoppelt. In diesem Umfeld kann jede Unsicherheit zu einer stärkeren Abwärtsbewegung führen. Daher muss das Anlagejahr 2020 von einem umsichtigen und vor allem geduldigen Agieren geprägt sein. Schließlich sind in fast allen Anlageklassen Marktübertreibungen zu erkennen und das Halten von Liquidität wird mit Strafzinsen von Banken, deren Bonität mit teilweise dramatisch einbrechenden Gewinnen immer weiter sinkt, zunehmend unattraktiver. Die dort vielfach steigenden Bonitätsrisiken werden nicht angemessen bepreist, sondern das seit langem dort vorhandene „zinslose Risiko“ wird zu einem „Risiko mit einem garantierten Mindestverlust“.
Deswegen sollte man Bankanleihen weiterhin meiden und auf erstklassige Unternehmensanleihen setzen. Hier sind aber auch teilweise deutliche Zinsrückgänge zu verzeichnen und Neuemissionen erfolgen nur in geringem Umfang. So richtig will sich derzeit kein Unternehmen an den Kapitalmärkten positionieren, weil das Vertrauen in eine stabile Konjunkturentwicklung nicht gegeben ist.
Hierzu müssen sich die politischen Rahmenbedingungen verbessern und externe Risikofaktoren – wie aktuell in China – sinken. Da weder eine wirkliche Entspannung zwischen den USA und dem Iran abzusehen ist noch die wirtschaftlichen Folgen in China an den Kapitalmärkten wahrgenommen werden, ist diese Beruhigung kurzfristig nicht zu erwarten. Dies wird zu Schwankungen – auch bei Unternehmensanleihen – führen, die dann wiederum Chancen bieten. Die EZB hat deutlich gemacht, dass die Zinsen im Euroraum niedrig bleiben. In Großbritannien wird in der kommenden Woche eine Zinssenkung erwartet.
Auf ein solches Szenario hofft auch Donald Trump bei der US-Notenbank, die ebenfalls in der kommenden Woche zu ihrer Sitzung und der damit verbundenen Entscheidung zusammenkommt. Seine Hoffnung dürfte allerdings – zu Recht – enttäuscht werden. Schließlich wachsen die USA wirtschaftlich solide und die Aktienindices sind wirklich auf Rekordwerten. Getrieben wird dies jedoch auch durch die Technologie-Aktien, während deutsche Aktienwerte vielfach mit hausgemachten Problemen zu kämpfen haben. Zwar zeichnet sich beispielsweise bei Bayer eine Gesamtlösung im Glyphosat-Streit ab, aber der Trend von Unternehmen, die Börsennotierung aufzugeben, nimmt Fahrt auf. Diesen Schritt plant beispielsweise der Medienkonzern Axel Springer, aber auch bei Rocket Internet gibt es diesbezügliche Überlegungen. Solche Schritte sind perspektivisch – ebenso wie Aktienrückkaufprogramme – ein negatives Signal für Anleger. Immer mehr Geld stehen zukünftig immer weniger Aktien gegenüber.
Deutlich wird, dass weiterhin die USA der Maßstab an den Kapitalmärkten sind. Dort ist Trumps „America first“ Realität. Entsprechend erscheint es wahrscheinlich, dass der US-Dollar auch weiter profitieren wird und selbst bei unveränderten Leitzinsen in den USA in der kommenden Woche profitieren wird. Das Zinsniveau ist höher, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist besser und politisch ist trotz Amtsenthebungsverfahren die Situation nicht schwieriger als in Europa. Daher ist das Aufwärtspotenzial des US-Dollars ungebrochen, zumal er als sicherer Hafen gilt. Dies wird in den nächsten Tagen auch dem Schweizer Franken helfen, während durch den Rückgang der Ölpreise temporär Währungen wie der Mexikanische Peso oder Russische Rubel unter Druck geraten werden. Australien und Neuseeland betrifft dies momentan noch weniger, da die industriell benötigten Rohstoffe bislang noch nicht stark auf die Situation in China reagiert haben. Druck wird auch auf das Britische Pfund kommen, das unter dem offiziellen Brexit am 31. Januar, aber vor allem unter der zu erwartenden Leitzinssenkungen leiden wird. Grundsätzlich erhalten die Notenbanken insgesamt neuen geldpolitischen Spielraum.
Schließlich führen die in den letzten Tagen deutlich gesunkenen Ölpreise zu einem spürbar dämpfenden Effekt auf die weltweite Inflation. Auch der Rückgang der wirtschaftlichen Dynamik in China aufgrund der Sondersituation im 1. Quartal 2020 dürfte die Rohstoffpreise eher weiter sinken lassen. Damit dürften aber auch die Bestrebungen der Klima-Aktivisten eine grundlegende Veränderung der Wirtschaftspolitik bei den relevanten Entscheidern weiter in den Hintergrund gedrängt werden.
Betrachtet man die weltweit durch Elektro-Mobilität verursachten Umweltschäden, muss der politische Wille, diese überholte Technologie zu forcieren, ohnehin sehr kritisch gesehen werden. Da hier eine Gegenbewegung nicht unwahrscheinlich ist, halten wir neben Silber auch Platin für eine interessante Beimischung im Edelmetallsektor. Daneben bleiben Anleihen und – bei entsprechenden Rückgängen – Aktien von Werten wie Shell, Glencore und LVMH sowie Richemont interessant. Letztere sind dem Luxusgütersegment zuzuordnen, profitieren aber auch von der Suche nach Anlagealternativen, die immer weiter zunehmen wird.
Dieser Anlagenotstand wird das beherrschende Thema des Anlagejahres 2020 sein. Die Risiken sind hoch, gleichzeitig werden in den gängigen Anlagen die Chancen kleiner. Dies macht unabhängige Expertise so wichtig. Schließlich wird man erst im Wochenverlauf erkennen können, wie gravierend die aktuelle Situation in China tatsächlich die Märkte belastet. Daraus werden sich Anlagechancen ableiten lassen, die bei Unternehmens- und Währungsanleihen sowie selektiv im Rohstoffbereich liegen werden. Aber auch die US-Notenbank wird – trotz vermutlich unveränderter Zinspolitik – einen Fingerzeig für das weitere Anlagejahr geben.