Lage besser als Stimmung… oder umgekehrt

Marktupdate 33/2022

Markus Schön, Dienstag 16. August 2022

Über den Sommer 2022 und insbesondere die vergangenen Handelstage zeigten sich die Kapitalmärkte relativ stressstabil. Die eher konjunktursensiblen Anlageformen Aktien, Nachrang-anleihen und Industrierohstoffe erholen sich moderat weiter. Der Krieg in der Ukraine wird an den Kapitalmärkten als „aktuelle Normalität“ wahrgenommen. Mit einer wirklichen, militärischen Zuspitzung in Taiwan rechnet niemand, obwohl die Provokationen Chinas größer werden und die USA Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe in die Region entsenden. Beide eher entspannte Wahrnehmungen könnten sich als größere Fehleinschätzungen herausstellen. Schließlich macht vor allem die deutsche Politik Angst vor einer Gas- und/ oder Stromkrise, die dann erhebliche Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft hätte. Schon jetzt geht der Exportüberschuss – trotz der Exportvorteile des niedrigen Außenwerts des Euros – massiv zurück, weil die Energie-Importe durch die anderen Bezugsquellen und vor allem die höheren Weltmarktpreise stark gestiegen sind. Nun sorgen die hohen Temperaturen und der geringe Niederschlag für Probleme in der Stromversorgung. Wasserkraft funktioniert nicht so gut, Kohle kann nicht so gut per Schiff transportiert werden und die Leistung mehrerer Atomkraftwerke in Europa muss aufgrund der relativ hohen Wassertemperaturen in vielen Flüssen gedrosselt werden. Entsprechend groß sind die Preissteigerungen an den Strombörsen. Dies könnte die wesentlich größere Gefahr für Europa und insbesondere Deutschland werden. Ohne Gas wird es ein unangenehmer Winter 2022/ 2023. Ohne Strom würde es eine Katastrophe, die wirtschaftlich und gesellschaftlich erhebliche Auswirkungen hätte. Diese Gefahr wird – wie die Risiken aus dem Ukraine-Krieg und der Zuspitzung in Taiwan – viel zu wenig in ihren konkreten Auswirkungen wahrgenommen.

Derzeit stehen die Sorgen um die hohe Inflation und eine in Teilen der Welt drohende Rezession im Fokus. Ganz selten wird die aktuell stattfindende Umverteilung thematisiert, die eher autoritäre Staaten wie Russland, Katar oder Saudi-Arabien begünstigt und in den Industriestaaten vermögende Menschen eher profitieren. Durch die immensen Gewinnsteigerungen von Konzernen wie SaudiAramco, der mit dem aktuellen Quartalsgewinn von 50 Mrd. US-Dollar mehrere DAX-Konzerne kaufen könnte, werden knappe Luxusgüter immer wertvoller. Dies ist bei international gefragten Luxusimmobilien ebenso zu erkennen wie bei hochwertigen Uhren, Sportwagen oder Kunst. Gleichzeitig sind Eigentümer solcher Werte viel weniger von den Preissteigerungen der Lebensmittel oder von Energie betroffen. Daher findet derzeit eine Spaltung in vielen Gesellschaftern, aber auch in der Weltgemeinschaft statt. Dies ermuntert natürlich China, so drohend gegenüber Taiwan aufzutreten. Dies setzt – neben teilweise schwachen Ergebnissen in diesem Sektor – auch die Kurse der Unternehmen der Chipbranche insgesamt unter Druck. Auch hier wird die Irrationalität ziemlich gut deutlich. Die Geschäfte vieler Unternehmen dieser Branche entwickeln sich hervorragend. Allerdings wird der Fokus auf jene Aktien gelenkt, die unterhalb der Erwartungen blieben. Damit ist das Aufwärtspotenzial der Aktienmärkte begrenzt. Umgekehrt begrenzen aber auch viele überzeugende Unternehmensdaten das Abwärtsrisiko, so dass sich die Schwankungsbreite weiter reduzieren wird. Spannend ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung auf der Anleiheseite. Die Erholung der letzten Wochen war hier sehr stark, weil das Zinsniveau insgesamt gesunken ist, aber die Risikoaufschläge sind nahe ihrer historischen Höchststände. Dies bedeutet, dass der Aufschlag zu beispielsweise als besonders sicher eingestuften deutschen Bundesanleihen mit vergleichbarer Laufzeit so hoch wie fast noch nie zuvor ist. Selbst während der Finanzkrise 2008/ 2009 waren die Aufschläge nicht so hoch und diese Situation hielt nicht so lange an. Daher bieten gerade aktuell Zinspapiere weiterhin teilweise ausgezeichnete Chancen. In diesem Umfeld emittiert dann kein Unternehmen, das nicht unbedingt muss, neue Anleihen. Daher trifft eine weiterhin hohe Nachfrage auf ein immer knapper werdendes Angebot. Neben vielen weiteren Faktoren spricht dies für steigende Kurse und damit verbunden sinkende Zinsen, zumal der Inflationsdruck nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA nachlässt. Entsprechend zeigt die inverse Zinsstruktur mit höheren Zinsen für kürzere Laufzeiten, dass auch dort der Anstieg der Leitzinsen sich nicht unbegrenzt fortsetzen wird. Auch dort ist der Anstieg der Marktzinsen teilweise viel zu stark gewesen. Vermutlich wird dies auch zu einer Erholung des Euros im Verhältnis zum US-Dollar führen, der zu Beginn des Ukraine-Krieges – wohl auch mit Blick auf die geografische Distanz – als sicherer Hafen galt. Nun treten aber wieder fundamentale Faktoren in den Vordergrund, so dass der US-Dollar zuletzt verlor.

Entsprechend stellt sich für Euro-orientierte Anleger, die Frage, wie lange der Zinsvorteil in den USA die Währungsrisiken ausgleicht. Bei Papieren, die auf Endfälligkeit in zehn bis 15 Jahren gehalten werden, mag dies aufgehen. Allerdings stellt sich umgekehrt die Frage, ob es sinnvoll ist, so lange Laufzeiten einzugehen. Vielmehr scheint eine Duration von sieben bis acht Jahren interessanter zu sein. Dies kann dann auch eher Eurobasiert in Unternehmensanleihen und Zinspapiere von staatsnahen Unternehmen erfolgen, weil diese durch die Laufzeitreduktionen, aber vor allem aufgrund der zu erwartenden Reduzierung der Risikoaufschläge deutlich profitieren werden.

Entsprechend gibt es viele Anleihen, die nicht nur höhere laufende Erträge als Aktien erwirtschaften, sondern auch hinsichtlich ihres Kurspotenzials attraktiver sind. Aber die Erholung und vor allem die Beruhigung an den Aktienmärkten sind erfreulich. Bei einzelnen Werten überrascht die Heftigkeit der Bewegungen nach wie vor, aber marktbreit ist eine deutliche Beruhigung zu erkennen. Ähnlich wie während der Corona-Pandemie setzt eine Gewöhnung an den Märkten ein, die dieses Mal allerdings zu früh kommen könnte. Daher ist Otto Rehhagels Fußball-Philosophie der „kontrollierten Offensive“ derzeit die richtige Ausrichtung für den Aktienmarkt. Substanzstarke Werte mit zukunftsfähigem Geschäftsmodell werden gut aus dieser Krise herauskommen.

Für die Zukunft gut gerüstet sind viele US-Unternehmen, die aber unter dem starken US-Dollar leiden. Allerdings hat die USWährung nach dem Rückgang der Inflation dort nachgegeben und dürfte sich weiter abschwächen. Mit Ausnahme des Russischen Rubel waren die rohstoffnahen Werte die Wochengewinner. Sie profitierten von den Preissteigerungen der Rohstoffe und weisen – wie beispielsweise der Australische Dollar – nun gegenüber der Eurozone einen deutlichen Zinsvorteil aus. Entsprechend ist – anders als beim US-Dollar – weiteres Aufwärtspotenzial für diese Währungen gegeben. Aus unserer Sicht überraschend verlor der Russische Rubel rund 1% im Wochenvergleich, weil die russische Wirtschaftsleistung um 4% schrumpfte. Bei der Härte der Sanktionen ist dies eher ein Beleg für die Leistungsfähigkeit der russischen Volkswirtschaft, so dass die Währung stark bleiben dürfte.

Dies gilt umso mehr, da der Ölpreis mit rund 90 US-Dollar deutlich unter seinem Jahreshoch 2022 notiert. Dennoch sind die Einnahmen, die Russland mit (Energie-)Rohstoffen erzielt, sehr hoch. Aber auch die Bestände der russischen Notenbank an Gold entwickeln sich in dem aktuellen Umfeld positiv. Schließlich konnte der Goldpreis allein in den vergangenen fünf Handelstagen um 1,5% steigen und ist damit auf Jahressicht 2022 nur noch leicht im Minus. Silber mit über 4,5% und Platin mit rund 3% entwickelten sich noch dynamischer. Nach unserer Einschätzung wird sich dies – relativ vielleicht etwas reduzierter – fortsetzen, weil Edelmetalle als Absicherung gesucht bleiben und die industrielle Verwendung von Silber und Platin zusätzliche Vorteile bietet. Aber auch die Industrierohstoffe werden sich weitgehend stabilisieren, sofern sich die Krisen nicht weiter zuspitzen.

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.