Das System wankt, die Notenbank tanzt
Marktupdate 10/2021
Markus Schön, Dienstag 16. März 2021
Der deutsche Leitindex DAX hat in der vergangenen Woche in beeindruckender Form ein Allzeithoch aufgestellt. Nach dem neuerlichen Höchststand gab es kein Halten mehr. Der DAX stieg um 500 Punkte und nährt sich tatsächlich der Marke von 15,000 Punkten langsam an. Besonders überraschend sind die Aktien, die diesen Anstieg tragen. Es handelt sich nicht um die defensiven Werte, sondern um konjunktursensible Aktien. Spätestens jetzt muss man – trotz neuerlichem Lockdown in Italien und steigenden Infektionszahlen in Deutschland – die Corona-Pandemie als „abgeharkt“ betrachten. Allerdings nimmt Deutschland hier eine Sonderstellung ein. International ist das Klima für Aktien bei weitem nicht so freundlich. Gerade in China verlieren die Aktienmärkte – trotz der Stützung durch Politik und Notenbank – deutlich. Dort besteht aber eine klare Wachstumsperspektive, die sich gerade in der Festlegung eines im aktuellen Umfeld sehr ambitionierten 6%-Wachstumsziel widerspiegelt. Schließlich steigen dort die Einkünfte und die Mittelschicht in China wird immer größer. In den USA und insbesondere in Europa leben die Aktienmärkte und Teile der Wirtschaft von dem billigen Geld, das die EZB noch beschleunigt in die Märkte geben will. Aus der letzten Ausweitung ihres Anleihekaufprogramms sind noch 1 Billion Euro „ungenutzt“. Diese sollen – dynamischer als bislang – im 2. Quartal 2021 investiert werden, um den Zinsanstieg zu stoppen. Die US-Notenbank sieht dies etwas entspannter und zuckt zumindest noch nicht wahrnehmbar, obwohl sich die Rendite für 10 Jahre laufende US-Staatsanleihen mit nun 1,62% p. a. innerhalb eines Jahres mehr als verdreifacht hat. Letztlich sind es dort die Inflationssorgen, die die Zinsen steigen lassen. Mit der Billigung des 1,9 Billionen US-Dollar Hilfspaket mit hohen Direktzahlungen an viele US-Haushalte wird dieser Druck nicht geringer werden.
Gleichzeitig impfen die USA deutlich schneller und überlegen offensivere Lockerungsschritte. So könnte der zu wahrende Mindestabstand in den USA halbiert werden. Die Angst vor den wohl wesentlich ansteckenderen Virus-Mutationen scheint weit weniger ausgeprägt zu sein. Entsprechend könnte dort der Konsum tatsächlich deutlich schneller anziehen und für eine höhere Inflation sorgen. Derzeit ist dies alles unkritisch, weil die Bewegungen auf niedrigem Niveau erfolgen. Die meisten Staaten erreichen Inflationswerte wie vor der Corona-Krise, die fast allen Notenbanken zu niedrig waren. In Deutschland liegt die Rate mit 1,3% auf Jahressicht weit von dem 2%-Ziel der EZB entfernt, obwohl Steuern erhöht wurden und die Rohstoffpreise in der Breite gestiegen sind. Dämpfend wird die relativ schwache Industrieproduktion zum Jahresanfang 2021 wirken, so dass die Erhöhung der Wachstumsprognose der EZB in der vergangenen Woche überraschte. Der Schritt von 3,9% auf 4,0% Wachstum in diesem Jahr ist zwar nicht groß, aber die Grundlage der Verbesserung ist nicht zu erkennen. Schließlich kämpft Europa wieder mit steigenden Neuinfektionszahlen und – wie vor allem in Deutschland – mit einem schleppenden Impftempo. Wenn nicht eine deutliche Verbesserung eintritt, werden am Jahresende 2021 vermutlich lediglich 45 Millionen Menschen geimpft sein. Ob es dann Mutationen gibt, gegen die die Impfstoffe weniger Wirkung entfalten, muss abgewartet werden, spielt aber an den Aktienmärkten keine Rolle. Letztlich ist es eine Kombination aus billigem Geld und massiven Fehlallokationen. Letzteres bedeutet, dass immer mehr Menschen und Institutionen in Aktien investieren, die diese Risiken nicht eingehen wollen. So sind ja auch erst Anlagen von Kommunen bei der faktisch zahlungs-unfähigen Greensill-Bank in Bremen entstanden. Deutsche Städte und Gemeinden sollen dort bis zu 500 Millionen Euro verloren haben, um Negativzinsen bei anderen Banken und Sparkassen zu vermeiden. Diese Fehlsteuerung von Risiken erleben nun auch immer mehr Privatanlegern, weil die Grenze, ab der Strafzinsen drohen, immer weiter abgesenkt wird. Einzelne Kreditinstitute ziehen die Grenze bei 50.000 Euro. Damit werden Anleger in höhere Risiken getrieben, die sich in zu hohen Aktienanteilen oder risikoreichen Banken, Sparkassen oder Emittenten zeigen können. Zur Vermeidung solcher Gefahren sind unabhängige Expertise und eigenes Research unverzichtbar. Schließlich hatten auch viele Privatanleger in Gold investiert, ohne die Spanne zwischen An- und Verkauf sowie die Wertschwankungen im Detail zu kennen. Deswegen sind viele von dem Rückgang von 10% in diesem Jahr überrascht. Ähnliches könnte bei Immobilien drohen, die als „Allheilmittel“ gelten und deren Preise steigen, obwohl der Flächenbedarf durch Home-Office und digitalen Wandel zumindest aktuell zu sinken scheint. Entsprechend überrascht die – trotz Corona-Pandemie – ungebrochene Preisdynamik, die fast alle Immobilienarten in Deutschland umfasst. Vielen Kauf-interessenten steht weiterhin ein begrenztes Angebot gegenüber.
Daran ändern auch die temporär steigenden Zinsen nichts. Ohnehin ist die Bewegung bei vielen Immobilienfinanzierungen kaum wahrnehmbar. Zudem deutet vieles auf wieder fallende Renditen, wenn die EZB wie geplant die Geschwindigkeit der Anleihekäufe im 2. Quartal 2021 erhöht. Insbesondere Unternehmensanleihen könnten dann zu einem noch selteneren Gut werden. Schließlich ist dort die Quote an Neuemissionen sehr niedrig. Neu aufgelegte Anleihen werden derzeit vor allem von Kreditinstituten herausgegeben. Die damit verbundenen Risiken sollte man weiterhin meiden und vielmehr die sich bietenden Schwankungen bei bestehenden Anleihen nutzen. So lassen sich im aktuellen Umfeld attraktive Renditen erzielen und das Potenzial für Kurssteigerungen aufbauen. Schließlich bleibt die expansive Geldpolitik ein globales Thema. Selbst das wirtschaftlich sehr solide Australien weitet die Anleihekäufe der Notenbank aus. Die Kurse dort steigen ebenfalls. Die australische Währung reagiert – irrationalerweise – mit Gewinnen, was eher auf die sehr niedrigen Infektionszahlen zurückzuführen zu sein scheint.
Neue Rekorde am deutschen Aktienmarkt lassen eigentlich den Schluss zu, dass dies ein weltweiter Trend ist. Tatsächlich ist der globale Börsenwert durch Technologieaktien und vor allem die Entwicklungen in China rückläufig. Dabei wurden dort teilweise schon staatliche Stützungskäufe getätigt. Die Entwicklung sollte eine Mahnung sein. Schließlich ist in China die Situation nach Corona weitgehend entspannt. Man will die Wirtschaftsleistung um 6% steigern und sieht sich als globale Wirtschaftsmacht. Aber die Aktien zeigen eine andere Entwicklung. Wenn diese Bewegung richtig ist, sind die Aktien in den USA und Europa teilweise deutlich zu teuer. Entsprechend sollten Aktienquoten derzeit eher reduziert als ausgeweitet werden und Qualität ist durch nichts zu ersetzen. Allerdings tritt auch hier zunehmend eine Verknappung ein. Sehr erfolgreiche Unternehmen wie die Deutsche Post kaufen ihre Aktien teilweise zurück. Dies ist immer auch ein Signal, dass es keine attraktiven Anlagemöglichkeiten mehr gibt und keine Ideen für neue unternehmerische Innovationen bestehen.
Auch dies ist eine Entwicklung, die eher gegen europäische Aktien spricht, zumal der Euro seinen Abwertungstrend fortsetzt. Gegen alle aus unserer Sicht derzeit attraktiven Währungsalternativen hat die Gemeinschaftswährung – teilweise deutlich – verloren. Grundlage ist eine Mischung aus der jeweiligen Zinsdifferenz, der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und der Impfgeschwindigkeit. Anders ist beispielsweise die Stärke des Britischen Pfund nicht zu erklären. Besonders positiv bewerten wir die Erholung des Mexikanischen Peso, der im Wochenvergleich knapp 3% hinzugewinnen konnte, nachdem die Währung zunächst nicht vom Ölpreisanstieg profitieren konnte. Ebenfalls deutlich hinzugewinnen konnte auch der Russische Rubel, der nun auch auf Jahressicht 2021 deutlich im Plus ist. Die Nachfrage nach diesen Währungen reduziert auch die Renditen in diesen Staaten, weil das dorthin fließende Geld Anlagemöglichkeiten sucht.
Schließlich gehen immer mehr Anleger auf der Suche nach einer größeren Rendite immer höhere Risiken ein. Gerechtfertigt ist es vielfach nicht. Chance und Risiko stehen immer öfter in einem schlechten Verhältnis. So sind die Preise für viele Industrie-rohstoffe viel zu stark gestiegen. Das Rückschlagspotenzial bei Öl oder Kupfer ist hoch, nachdem die Preise in diesem Jahr um 35% bzw. 17% gestiegen sind. Von solchen Zuwächsen sind die Edelmetalle weit entfernt. Gold ist auf Jahresanfang 2021 mit knapp 10% deutlich im Minus. Die von uns favorisierten Edelmetalle Silber und Platin konnten um fast 3% bzw. über 6% steigen und damit ihre Verluste aus der Vorwoche ausgleichen. Dennoch bleibt die Schwankungsbreite dort hoch. Dabei sind die Förderquoten so niedrig, dass in einigen Monaten eine Angebots-knappheit allein für den entsprechenden industriellen Bedarf droht. Dann könnte sich dies – ähnlich wie aktuell bei Datenchips – in Produktionsengpässen widerspiegeln.
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