Unheilige Allianz – Notenbanker werden Politiker

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Marktupdate 05/2021

Markus Schön, Dienstag 09. Februar 2021

 

In der hinter uns liegenden Handelswoche merkten auch eher am politischen Geschehen als am Finanzmarkt orientierte Menschen auf. Janet Yellen bestellte führende Investmentbanker im Zuge der „Hedgefonds-Gamestop-Krise“ ein. Einige meinten, sich verhört zu haben. Schließlich hatte der ehemalige US-Präsident Donald Trump doch ziemlich zu Beginn seiner Amtszeit der damaligen Notenbankpräsidentin eine weitere Amtszeit verwehrt. Von seinem Nachfolger Joe Biden wurde sie aber zur Finanzministerin ernannt. Sie hat jetzt nicht nur politischen Einfluss auf die Notenbank, sondern hat die Möglichkeit, von der von ihr wieder deutlich verschärften Niedrigzinspolitik zu profitieren. Leitzinsen nahe 0% p. a. und vor allem umfängliche Kaufprogramme helfen den hoch verschuldeten USA, sich überhaupt noch refinanzieren zu können. So lässt sich möglicherweise viel leichter verantwortungslose Finanzpolitik machen, wenn man zuvor die Geldpolitik zügellos gestaltet hatte. Das Vertrauen in den Finanzplatz USA dürfte es eigentlich nicht stärken. Aber es gilt das Sprichwort „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“. Schließlich geht der Eurostaat Italien gerade einen ähnlichen Weg und will den früheren Chef der EZB zum dortigen Ministerpräsidenten machen. Nun ist aber Mario Draghi nicht gerade für eine zurückhaltende Geldpolitik in die Geschichte der europäischen Notenbank eingegangen. Es dürfte für seine ohnehin ähnlich denkende Nachfolgerin bei der EZB nun noch schwieriger werden, geldpolitisch restriktiver zu agieren, wenn sie weiß, dass der drittgrößte Eurostaat von einem ehemaligen EZB-Präsidenten geführt wird und bei deutlichen Zinssteigerungen oder einer Reduzierung der Anleihekäufe in schweres Fahrwasser käme. Diese neuen Abhängigkeiten werden jetzt kaum beachtet.

 

Vielmehr wird die politische Verantwortungsübernahme positiv gesehen und an den Kapitalmärkten wird die damit erwartete Kontinuität hervorgehoben. Die Realität sieht aber etwas anders aus. Die Marktzinsen sind – entgegen vieler Erwartungen – gerade bei als besonders sicher eingestuften Anleihen gestiegen. Zu dieser Entwicklung haben natürlich die wieder größer gewordene Risikoneigung und die auf extrem expansiven Niveau abwartende Haltung der Notenbanken beigetragen. Die Renditen für andere Zinspapiere wie Unternehmens- und Nachranganleihen sind aber weit weniger stark gestiegen. Etwas übertrieben formuliert ist es eine Flucht aus „zinsloser Unsicherheit“ in „begrenzt verzinstes Risiko“. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, werden die Notenbanken ihre Anleihekaufprogramme für Staatsanleihen ausweiten müssen. Dann wird gerade bei der EZB spannend sein, wie man das Argument der verbotenen Staatsfinanzierung für die Eurozone entkräften will. Für die Corona-Hilfen kommt der Zinsanstieg zur Unzeit. Statt sich historisch günstig zu finanzieren, drohen nun Zinsaufschläge, die vermeidbar gewesen wären, wenn die europäische Politik nicht so langsam agieren würde. Dabei zeigen doch alle Konjunkturdaten, dass man jetzt handeln muss. Während Deutschland den Corona-Wirtschaftseinbruch noch mit einem blauen Auge verkraftet haben zu scheint, ist die Wirtschaft in der Eurozone 2020 um 6,8% und damit fast 50% stärker als bei der Finanzkrise 2009 eingebrochen. Berücksichtigt man, dass Deutschland 2009 schlechter und 2020 besser durch die Krise gekommen ist, gewinnt man einen Eindruck, wie schlecht die Situation gerade in Südeuropa ist. Gleichzeitig kommen neue Belastungen auf die Wirtschaft zu. So sind die Auftragseingänge im Dezember 2020 auch in Deutschland rückläufig gewesen. Die Kurzarbeit im Januar 2021 zieht deutlich an und liegt mit wieder 2,6 Millionen Menschen deutlich über dem Höchstwert während der Finanzkrise. Auch der aktuelle Wintereinbruch wird – zunächst nur minimal – die Wirtschaft belasten. Gleichzeitig drohen am kommenden Mittwoch bei den Bund/Länder-Beratungen zur weiteren Corona-Politik Enttäuschungen. Es deutet wenig auf für die Wirtschaft relevante Lockerungen hin. Dies wird immer stärker ein psychologisches Problem: Wenn die Perspektive auf eine Entspannung der Situation fehlt, steigt die Unzufriedenheit und damit nehmen die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Risiken zu. Dies entspannt sich auch nicht durch weitere Corona-Hilfen. Schließlich wird immer lauter die Frage gestellt, wie dies alles zu finanzieren ist. Die schnelle wirtschaftliche Erholung mit stark anziehenden Steuereinnahmen bleibt aus. Die USA sind (noch) nicht so schwach wie von uns erwartet, aber Joe Biden wandelt Trumps „America first“ in Obamas „Buy American“, was auch für die Weltwirtschaft nicht verheißungsvoll klingt. Nur so kann Biden die Abschwächung der US-Wirtschaft vielleicht etwas bremsen. Russland als starker Nachfrageregion – gerade im Luxusbereich – hat innenpolitische Probleme, führt aber zeitgleich u. a. einen Sanktionswettkampf mit der EU.

 

Dort ist jedoch zumindest in einem Teilbereich der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Zuge der Corona-Pandemie sicherlich nicht glücklich agiert, ein beachtlicher Erfolg gelungen. Die teilweise innerhalb der EU gewünschten Sanktionen hinsichtlich der mit Russland erstellten Ostsee-Pipeline „Nordstream 2“ sind deutlich unwahrscheinlicher geworden. So hat sich der französische Präsident Macron am Ende der Woche wohlwollend zu dem Projekt geäußert. Zumindest dort dürfte nun eine Beruhigung einsetzen. Dafür entsteht ein neues Risiko an den Kapitalmärkten, das einige Anleger – teilweise mit „freundlicher Unterstützung“ ihrer Kreditinstitute – unterschätzen. So gehen immer mehr Unternehmen der Reisebranche dazu über, sich mit Wandelanleihen zu refinanzieren. Diese werden dann zu einem Zeitpunkt in der Zukunft – verpflichtend oder an bestimmte Bedingungen geknüpft – ggf. in Aktien des Unternehmens zurückgezahlt. So werden Anleger in Risiken gelockt, die sie vielfach nicht eingehen wollen. Schließlich klingen auf den ersten Blick trotz des Zinsanstiegs bei „sicheren Anleihen“ Rendite für Wandelanleihen von teilweise über 6% p. a. sehr verlockend.

 

Für ein faktisches Aktienrisiko – gerade im Bereich der Reisebranche – ist es eine unangemessene Rendite. Aber die Risiken im Aktienbereich werden wieder ausgeblendet. Eher das Ausbleiben schlechter Nachrichten führte in den hinter uns liegenden Handelstagen zu steigenden Kursen. Vor allem hat aber wieder einmal der US-Technologiesektor für positive Stimmung gesorgt. Die Zahlen der Google-Muttergesellschaft Alphabet und des online-Händlers Amazon fielen sehr stark aus. Dort wurde der Rückzug des Gründers Jeff Bezos als Vorstandschef nicht negativ gesehen. Als zweitreichster Mensch der Welt und Teil-Monopolist zog er viel Aufmerksamkeit – gerade auch auf politischer Ebene – auf sich. Dies könnte sich nun etwas entspannen. Aber auch in Deutschland zeigt der Börsengang des Internet-Autohändlers Auto1, wie stark das Interesse an Internetunternehmen ist. Die Aktie ist am ersten Handelstag um 45% gestiegen und das Unternehmen steuert auf eine zweistellige Milliardenbewertung zu. Umsatz und Gewinn spielen dabei keine Rolle.

 

Ohnehin sind und bleiben die Kapitalmärkte in vielen Bereichen völlig irrational. Zur Abwechselung zählte aber der Währungsbereich in den letzten Tagen nicht hierzu. Völlig zu Recht hat der Euro gegen nahezu alle von uns in unserem unabhängigen Research betrachteten Währungen verloren. Besonders deutlich war der Rückgang mit 3% gegenüber dem Mexikanischen Peso. Vergleichbar war der Anstieg des Russischen Rubel in Relation zur europäischen Gemeinschaftswährung. Dieser konnte über 2% hinzugewinnen und liegt nun auf Jahressicht 2021 fast 1% im Plus. Auf den ersten Blick erscheint dies etwas überraschend, geht aber vor allem auf den starken Anstieg des Ölpreises in der hinter uns liegenden Handelswoche zurück. Allein in den vergangenen fünf Handelstagen lag der Anstieg des Energierohstoffs bei fast 10%. Entsprechend positiv werden sich die Einnahmen der Staaten entwickeln, die Öl exportieren. Aber auch gegenüber anderen Währungen relativiert der Euro seinen zu starken Anstieg. Neben dem US-Dollar ist besonders das Britische Pfund zu nennen. Der Anstieg dort ist auf die dortige Notenbank zurückzuführen, die keine Ausweitung der Anleihekäufe beschlossen hat.

 

Dies ist insofern überraschend, da die wirtschaftliche Situation Großbritanniens angespannt bleibt. Aber der Zinsanstieg weltweit zeigt, dass die Notenbanken vorsichtiger agieren müssen, um das Vertrauen der Kapitalmärkte nicht zu erschüttern. Deswegen ist eine wirtschaftliche Erholung wichtig, die unzureichend bleibt, wenn sie insbesondere nur durch China getragen wird. Es mag einige Probleme überdecken; faktisch werden die Gefahren nur in die Zukunft vorgetragen. Deswegen ist es eine gute Nachricht, dass die „Krisenwährung“ Gold weiter verloren hat und nun auf Jahressicht 2021 mit 5% deutlich im Minus ist. Die viel stärker industriell benötigten Edelmetalle Platin und Silber zeigen sich wesentlich robuster und sind auch in diesem Jahr teilweise deutlich in der Gewinnzone. Besonders gilt dies im Bereich der Industrierohstoffe natürlich für den Ölpreis, der seit Jahresanfang 2021 fast 20% hinzugewinnen konnte. Teilweise ging der Anstieg aber auch auf weitere Förderkürzungen der OPEC zurück. Davon werden aber auch die Ölkonzerne profitieren können, nachdem Werte wie Shell oder BP das Jahr 2020 mit z. T. sehr großen Verlusten abgeschlossen hatten.

 

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